Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
Einstand wäre das geworden.
Sie griff nach den Tiegeln und zog sie wieder neben sich.
Seth hockte inzwischen auf dem Boden und sammelte aus der Wasserlache kleine, gallertartige Klümpchen, die er in den Eimer warf.
Konnte sie aufstehen, den Tisch verlassen und ihm helfen? Was auch immer er da tat? Die Insel, die sich zu einem schwarzen Fleck in Pflaumengröße verkleinert hatte, lag wieder an ihrem Platz. Die Wellen schwappten träge auf und ab.
Sie schob die Tiegel zwischen die Holzpresse und die Zeichenblätter, stand auf und ging zu Seth hinüber. Er wischte mit den Händen den Wasserfleck in die Breite.
»Das trocknet hier schnell«, sagte Mary.
»Das sind Salpen.« Der Junge trocknete seine Hände an der Hose ab. »Sie sind fast wie Feen, oder?«
Mary starrte in den Eimer. Sie hatte solche zierlichen und zart schimmernden Lebewesen noch nie gesehen.
»Sie schwimmen als Teppich durchs Wasser, aber eben habenwir eine Kette gesehen. Die schwammen wie eine Kette am Schiff vorbei und …«
»Sind sie noch da, die Salpen?« Marys Stimme klang angespannt, doch Seth schien es nicht zu bemerken.
»Nö, die sind schon weg.«
Die Insel.
Sie drehte sich um, der Fleck am Horizont war zu einem winzigen Punkt zusammengeschmolzen.
Warum habe ich es nicht gemacht? Warum bin ich nicht verschwunden? Ich habe doch schon geahnt, wie das hier werden wird. Das Malen hat mein Gemüt beruhigt, aber …
»… und die atmen mit einem Muskel, der sich als Ring um ihren Körper zieht.«
Hörte dieser Junge niemals auf zu reden? Und woher wusste er um diese Details? Wohl kaum von den Matrosen.
Seth wuchtete den Eimer auf den Tisch. »Der Sir sagt, du sollst die Salpen festhalten.«
»Er meint wohl, ich solle die Salpen zeichnen?«
Der Junge zuckte die Schultern. »Du zeichnest?«
»Ja, ich bin der Zeichner der Naturwissenschaftler.«
Und ich bin der, dem man die Welt in der Botanisiertrommel und im Holzeimer in die Messe bringt.
»Was zeichnest du denn?«
»Ich zeichne die Pflanzen und die Tiere, auch Landschaften, damit die Forscher sich später bei ihrer Arbeit erinnern können, wie alles auf der Reise ausgesehen hat.«
Seth reckte den Kopf. »Ma-dei-ra-veil-chen«, formten seine Lippen.
»Du kannst lesen? Das finde ich ja großartig.« Erstaunt schaute Mary auf das Papier. Der Junge hatte ihre Schrift entziffern können.
Er nickte, genierte sich ein wenig und lächelte dann doch. »Meine Mutter hat es mir beigebracht.« Er senkte die Stimme. »Und ich kann besser lesen als mein Bruder. Und viel besser schreiben,obwohl er älter ist.« Wieder ließ er seinen Blick über das Stillleben auf dem Tisch streichen: die Pflanzen, die Farbtiegel, die Pinsel, die Blütenpresse, die Zeichnung. Er runzelte die Stirn, beugte sich vor, schaute kurz zu ihr herüber und dann wieder auf das Papier.
Was starrte der Junge so?
Sie nahm die halbfertige Blütenskizze zur Hand. Aus der geschwungenen Farblinie hatte sich ein Tropfen gelöst und war, der Seitwärtsneigung des Schiffes folgend, über die Zeichnung gelaufen. Das nasse Gelb hatte sich seinen Weg ins noch feuchte Grün des Blattes gebahnt und war dort zu einem lindfarbenen Fleck verschmolzen.
Seth verschränkte die Hände auf dem Rücken, trat zurück und musterte sie.
»Wenn du magst, zeige ich dir, was man in solchen Fällen unternimmt«, sagte Mary, setzte sich an den Tisch, ergriff den Pinsel und strich das Wasser ab. Der Junge trat näher und schaute über ihre Schulter, während sie den lindgrünen Fleck in die Breite ausstrich. Einen hellen, gebogenen Streifen ließ sie entstehen, der sich spitz zulaufend durch das Blatt zog.
»Die Gouache ist wasserlöslich, sodass man Korrekturen vornehmen kann, indem man Farbverläufe ausdünnt. Die Farben lassen sich gut miteinander mischen. Wenn man jetzt einen Farbübergang schafft, der vom Lindgrün in ein Grün übergeht, das ein wenig der Farbe von Gras ähnelt, und die Ränder zum Schluss mit einem tiefen Grün nachzieht, erweckt das den Eindruck, dass sich Licht auf dem Blatt bricht.«
Die Borsten wischten über das Papier, schoben und strichen die Farbe und setzten den dunkelgrünen Bogen am Rand des Blattes.
»Siehst du? Der neue Farbverlauf ähnelt einem Lichtspiel.«
»Und was machst du mit dem gelben Strich?«
»Hier haben wir mehrere Möglichkeiten. Man könnte einen Vogel daraus entstehen lassen. Einen, der flügelschlagend vor der Blüte schwebt. Ein Schmetterling wäre auch denkbar. Da wir
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