Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
Befestigungen der Stadt vorgenommen haben. Spionage ist ein laufendes Geschäft, das dazu dient, jede Veränderung und Neuerung des Gegners auszukundschaften.«
»Auch wenn dem so ist, der Vorwurf ist absurd«, warf Franklin ein, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Ja, das ist es auch. Meist erhalten die Schiffe letztlich auch den gewünschten Proviant und können dann weiterreisen.«
»Will der Statthalter auf diese Weise die Preise in die Höhe treiben?« Es war die erste Frage, die Mary in die Unterhaltung einbrachte. Ihrer Stimme fehlten Peacocks Entsetzen und Franklins Hohn. Es war eine klare Frage, ruhig formuliert.
»Vielleicht spielt das eine Rolle, aber ich denke, dass es hier schlichtweg um Schikane geht.« Carl erhob sich und lief zumFenster hinüber. »Ich hätte eine Idee, wie wenigstens unsere Forschungen nicht zu sehr unter diesen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit zu leiden hätten.« Er nickte und war sicher, dass der Plan funktionieren könnte.
Und vor dem Fenster lockte sattgrün und erdbraun das fremde Land.
***
Ein jeder an Bord hatte schlechte Laune, selbst Seth fühlte die Wut in seinem Bauch. Sie rumorte laut und deutlich. Anstatt eines Landgangs hatte man erneut das große Reinemachen ausgerufen. Das Polieren, Wischen und Schrubben trug nicht gerade dazu bei, seine Stimmung zu heben. Übellaunig schaute er zum Land hinüber. Was war das für ein schwarzer Schatten? Er blinzelte und schirmte mit der Hand das Sonnenlicht ab.
Der Schatten blieb.
Genau genommen kam er schwarz und schwankend auf das Schiff zu. Anscheinend waren alle derart in ihre schlechte Laune und ihre Arbeit vertieft, dass ihnen der größer werdende Schatten entging. Seth schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen, doch es änderte nichts an seiner Entdeckung.
»Da!«, rief er. Einige der Umstehenden blickten in die Richtung, in die sein Finger aufs Wasser hinauszeigte.
»Ein Schatten.« Jeder konnte hören, dass er sich fürchtete. Für einen Moment erwog er, wegzulaufen und sich unter Deck zu verstecken, doch er blieb, wo er war.
»Seth! Nat! Dan! Lukas!«
Seth fuhr herum.
Marc eilte die Stufen vom Achterdeck herunter, seine Wangen glühten. »Das ist ein Schmetterlingsschwarm. Ein riesiger Schmetterlingsschwarm.« Er trug mehrere Fangnetze bei sich,und im Vorbeilaufen gab er Nat eines in die Hand. Der schaute auf das Netz, ließ seinen Scheuerstein fallen und machte ausholende Bewegungen.
»Ich brauche jede freie Hand«, rief Marc, und sofort lief Seth ihm entgegen. Auch er wollte ein Netz. Hastig warf er einen Blick auf die Schmetterlinge, die inzwischen so nah herangekommen waren, dass man bei einigen das Schlagen der Flügel erkennen konnte.
Als Marc Dan ein Netz übergeben wollte, trat der einen Schritt zurück. »Ich fange keine Schmetterlinge. Ich bin doch kein Waschlappen.«
Peacock trat vor und langte nach dem Netz. »Na, dann mache ich das«, sagte er und stellte sich breitbeinig vor der Reling auf. Dem Schmetterlingsschwarm entgegen.
Seth eilte neben ihn und nahm die Körperhaltung des Astronomen an, der darüber auflachte. Lukas und Nat gesellten sich zu ihnen. »Tara, tara«, brüllte sein Bruder. »Auf in den Kampf.« Nun lachten sie gemeinsam.
Wo ist Marc?
, fragte Seth sich.
Was soll ich denn machen, wenn ich einen Schmetterling gefangen habe?
Sein Herz schlug so laut, dass er schreien musste, als er dem ersten Schmetterling hinterherrannte. Es waren so viele, dass sie, einem Vorhang gleich, das Schiff einhüllten. Sie nahmen ihm die Sicht und streiften seine Haut. Überall ließen sie sich nieder, auf der Reling, in den Rahen und im Tauwerk, auf den Planken, in den Segeln. Ein Heer aus Flügeln und Farben. Doch so schnell die Falter gelandet waren, so schnell erhoben sie sich, wenn Seth versuchte, sie mit dem Netz zu erhaschen. Er begann zu schwitzen.
Auf der Treppe zum Achterdeck gelang es ihm endlich – er hatte den ersten Schmetterling erbeutet. Atemlos ging er auf die Knie, um seinen Fang zu begutachten. Hilflos flatterte der Schmetterling hin und her und blieb dann still sitzen. Die oberen Flügel leuchteten rot wie frisch vom Busch gezupfte Himbeeren undwaren schwarz gerändert. Die unteren Flügel waren kleiner. Mittig hatten sie jeweils einen himbeerroten Fleck, daneben war noch ein blauer Streifen und innen, fast schon am Körper, saß ein gelber Tupfer.
Seth ließ den Blick schweifen. Nat sprang über das Deck, schlug hier hin, schlug dort hin und gluckste,
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