Vom Aussteigen und Ankommen
Rebekka: »Beten ist wie ein Garten. Den müssen Sie immer gießen und ständig das Unkraut jäten. Es ist wie eine Liebesbeziehung, mal kann sie in Dur sein, mal in Moll.« Kürzlich hatte eine Ministerin in Niedersachsen das Kruzifix in Schulen verbieten wollen. Schwester Rebekka zuckte mit den Schultern. Und wenn, sagte sie, es habe schon viel Schlimmeres gegeben, so etwas komme immer mal wieder in Schüben. »Wir beten, wir beten einfach nur.« Ein graues Haarsträhnchen fiel aus ihrem Kopftuch hervor auf die Stirn.
Nach einer Dreiviertelstunde nahm Marie-Gabrielle ein Mes singglöckchen, sagte, ich sei ein leidenschaftlicher Journalist, das finde sie gut, doch jetzt sei wieder Zeit für Stille. Sie läutete. Das wirkte auf mich wie die Entscheidung eines Ringrichters beim Boxen, einen Kampf abzubrechen, wenn ein Kämpfer das erste Mal ein bisschen stolperte: Sobald sich Geschwätzigkeit anbahnte, brachte das heilige Glöckchen die Stille zurück. Ich hätte gern mehr zur Geschichte der Schwestern und ihren Motiven für diesen radikalen Lebenswandel erfahren. Doch Marie-Gabrielle glaubte, das Wichtige sei gesagt.
Beim Herausgehen aus der Schwestern-WG verbeugte ich mich etwas albern vor einem Kreuz, das hinter einer Glastür in dem letzten Raum vor dem Ausgang stand. Die Priorin lachte: »Da musst du dich nicht verbeugen, dat is doch keine Repräsentanz, dat is nur ein normales Kreuz.«
Das Kloster hielt so viel Überflüssiges draußen aus dem Leben. Andererseits hielt es auch Fragen an sich selbst vor seinen Türen. Es verlangte totale Hingabe. Es war ein strenger, alttestamentlicher Vater, dem seine Kinder gehorchen mussten. Für einen Besucher war es eine mächtige Antithese. Ein Jahr oder ein Leben lang hier zu sein, ich konnte es mir nicht vorstellen. Die Schwestern und Brüder wirkten aber, als schadeten ihnen ihre Gelübde nicht. Sie wirkten glücklich. Wenn Gott keine Erfindung der Menschen war und unendlich größer, dann konnte ein Leben, das ganz auf ihn ausgerichtet war, nicht langweilig werden.
Donnerstag war meine dritte Abendmesse, danach sollte die eucharistische Anbetung bis in die Nacht hinein folgen. In der stillen Anbetung vor Beginn der Messe neigte sich manchmal ein Bruder oder eine Schwester, die alle wieder auf Holzschemeln vor dem Altarraum knieten, mit ihrem Körper ganz auf den Boden. Sie machten sich so klein wie möglich. Wieder begann die Messfeier mit Psalmgesängen. Wie mehr als tausendmal im Jahr beteten die Brüder und Schwestern ihre Verse. Gegenüber dem Kreuz: Menschen, die sich das Rechnen abgewöhnt hatten und Gott vertrauten. Ich saß diesmal vorn, in der zweiten Reihe.
Am Abend waren mehr Besucher da als mittags und morgens, vielleicht vierzig. Manche kamen jeden Tag, andere zwei Wochen täglich und dann nie mehr. Nun hatten sie ihren Durst gestillt und blieben wieder weg. Die Ordensleute blieben immer an der Quelle, auch wenn sie mal keinen Durst hatten, aber keiner wirkte so, als könne er kein Wasser mehr sehen.
Draußen waren es schon zwanzig Grad, doch in der Steinkirche froren meine Hände und Füße. Ich wollte mich klein machen vor Gott. Die nackten Füße in den Ledersandalen der Mönche froren offenbar nicht. Die alten Gesänge klangen frisch, als habe sie dieser steinerne Kühlschrank konserviert. Ich konnte beten.
Nach der Messe zogen die Brüder und Schwestern mit einer Monstranz, die eine große Hostie umschloss, durch die Kirche in eine hintere Ecke, einige Gottesdienstbesucher folgten der Prozession – ein fremd anmutendes Schauspiel. Die Hostie wurde vor Kerzen aufgestellt, in ihr sei Christus selbst anwesend, glauben die Katholiken. Sie leuchtete warm im Kerzenlicht. Ich ging nach draußen.
Am Rheinufer, ein paar Minuten östlich vom Dom, bestimmten Kölschkneipen, Brauereigaststätten und Cocktailbars das Bild, die »Karibik« oder »Aloha« hießen. Hinter dem backsteinöden Haus des Handwerks guckte der Turm der in der zweiten Reihe stehenden Kirche herüber, als sei er der Turm vom Haus des Handwerks. Um den Rhein entfaltete sich ein Sommernachtstraum aus Straßenjazz, Beck’s, Streifenpullis, Flusswind, Leinen, Flaschensammlern und Straßencafégemurmel. Genauso wie vorgestern Abend, doch erschien es mir plötzlich wieder freundlich und vertraut.
Schmale Bürgerhäuser standen neben dem Haus des Handwerks. Sie hatten dazwischen etwas Platz gelassen für einen Blick auf Groß Sankt Martin. In den Straßencafés auf dem Vorplatz kreischten
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