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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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Kegelclubfrauen schrill. Der Wind streichelte sie in seiner frühsommerlichen Güte. Im Gasthof Herings stand Zander auf der Tageskarte, Forelle, Scholle und Rotbarsch, nicht aber Hering.
    Groß Sankt Martin stand auf einem Mauersockel. Bäume verdeckten die Sicht auf ihr Fundament. Die Kirche hatte einen dicken Turm auf relativ kleinem Rumpf. Sie sah aus wie eine Raumfähre, die Außerirdische zurückgelassen hatten, weil es mittlerweile ein spritsparenderes Modell gab. Eine Treppe führte hinauf und auf den Kirchplatz.
    Ich ging zurück zur eucharistischen Anbetung, es war schon dunkel. Die Hauptpforte der Kirche war wie immer verschlossen, man musste rechts durch eine kleine Tür in der Seitenwand eintreten, die sich in Weinblätter gehüllt hatte.
    Von innen wurde die Schönheit der Kirche sichtbar. Der klobige Turm zeichnete von außen ein Zerrbild von der Höhe des Kirchenschiffs. Von außen war sie ein Elefant, von innen ein Engel.
    Einige Leute hockten still auf dem Teppich vor der kerzenbeschienenen Hostie, darunter zwei Mönche und eine Schwester. Hocker standen auf dem Teppich. Ich nahm mir einen und fixierte die Hostie. Manchmal schaute ich mir die Menschen um mich herum an, eine Frau links von mir erkannte ich aus der Abendmesse wieder. Sie hatte ihren Oberkörper nach vorn auf dem Teppich niedergelegt und schluchzte. Sie weinte. Ich betrachtete die Hostie lang und legte mich auch nieder. Sich klein machen vor Gott, das gab tiefe Ruhe. Bruder Thibaut kam dazu. Er war sympathisch. Wenn er kein Mönch gewesen wäre, hätte ich ihn auf ein paar Kölsch in die Altstadt eingeladen, doch das durfte er nicht. Er war so alt wie ich, aber viel ernster; bescheiden, jugendlich, klug. Wenn stille Quellen tief waren, war seine Tiefe unendlich, denn er sagte ja gar nichts. Welcher Weg hatte ihn in die Mönchskutte geführt?
    Saufmusik drang in die Kirche. Das Brot des Himmels durchdrang mich. Beides passte zur Sommernacht, beides passte zusammen, ich sah die Vielfalt der Welt mit einem anderen Blick, die Xenophobie war gegessen.
    Am Morgen ging ich. Die Brüder nahmen kein Geld, ich sollte ihr Gast sein. »Und, welche verrückte Gemeinschaft besuchst du als Nächstes?«, fragte Jean-Tristan.

Im Hausboot auf dem Rhein
    Seit der frühen Industrialisierung hielten es die Menschen für möglich, dass Maschinen eines Tages alle Arbeit erledigten. Die ersten Marxisten hatten nicht viel Interesse am Klassenkampf, sondern fühlten sich von der Idee eines Lebens mit sehr viel Freizeit angesprochen. In diesem Sinn war Jörg Remus ein Marxist.
    Er war aber noch nicht von der Arbeit befreit. Als ich am Nachmittag den Kölner Hafen erreichte, in dem sein Hausboot lag, war er nicht da, sondern in seinem Büro in einem Düsseldorfer Fernsehsender. Es war einer der wenigen Tage, an denen er noch arbeitete, seit er auf das Hausboot gezogen war.
    Ich lief über das Hafengelände. Das Hausboot, auf dem Jörg Remus seit zwei Jahren lebte, konnte man nicht übersehen. Es war am Heck eines größeren Schiffes, des entkernten Rheinfrachters »Pletsche II«, befestigt wie ein Rettungsboot. Die »Pletsche II« war heute die Arbeitsfläche einer Werft. Die Werft rüstete einwändige Frachtschiffe zu doppelwändigen um. Arbeiter im Blaumann klopften und schweißten. Ich sah ihnen zu und wunderte mich, dass es das noch gab: Werftarbeiter in einer deutschen Metropole. Und stellte mir vor, wie sehr sich die Arbeiter selbst darüber wundern würden, dass es Leute gab, die so weltfremd waren, sich darüber zu wundern, dass es noch Hafenarbeiter in Deutschland gibt. Auf Jörg Remus’ Hausboot arbeitete niemand. Es schaukelte faul und blickte in Richtung Festland.
    Der Hafen ist Kölns direkte Verbindung zum Meer. Er roch nach Fisch und Schweröl, nach Fäulnis und Campingplatz, nach Altholz und Algenwasser. Der Wind mischte die Düfte zu einem Seeluftcocktail. Der Hafen klang nach Baustelle, nach Metallklopfen, Dieselmotoren, aber auch wie eine Vogelvoliere. Die Freiheit, die er als Türöffner zum Ozean versprach, hatten sich auch seine Bewohner genommen. Künstler und Lebenskünstler wohnten hier in Containern, Holzhütten oder Campingwagen. Im alten Bootshaus war ein Technoclub, in Werfthallen hatte die sogenannte Kreativbranche ihre Büros. Der Hafen war ein offener Tempel des Chaos inmitten der geordneten Stadt, ein wildes Sperrgebiet für Bürokraten, fleißig und faul zugleich, vergangen und gegenwärtig, frei, grün, rostig. Die Natur

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