Vom Aussteigen und Ankommen
die Exerzitien und hatte da wieder ein starkes Heimatgefühl.
Die Novizen waren von etwas, was sie als positiv empfanden, der Liebe zu Gott, zum Ausstieg motiviert. Die meisten anderen Menschen, die ich auf der Reise kennengelernt hatte, waren zehn, zwanzig Jahre älter und hatten aufgrund von Enttäuschungen begonnen, ihr Leben zu ändern.
Ich ging mit Mathias am Abend ins Kneipenviertel in die Altstadt. Das durfte ein Jesuit, anders als die Mönche aus Köln. Jesuiten leben nicht in Klausur, sondern als Priester oder in weltlichen Berufen, um im Austausch mit der Welt zu bleiben, aus der sie ausgestiegen waren.
Wir gingen durch den Stadtpark, der uns neben den üblichen Enten auch weibliche Reize in ihrer wenig verhüllten sommerlichen Erscheinungsart präsentierte. War das nun eine Versuchung aus dem Reich der Unterwelt? Mathias sagte, er gucke sich die Frauen schon gern an, sie seien ja nicht vom Teufel, wie man im Mittelalter gedacht habe, sondern von Gott, nur wenn nachts im Bett die Gedanken weitergingen, wie es wäre, ihnen näher zu kommen, wie ihre Brüste aussähen, dann begänne die Sache problematisch zu werden.
»Als Studenten gingen wir Frauen jagen, daran dürfen wir jetzt gar nicht denken«, sagte er. Aber wenn die Gottesbeziehung intakt sei, sei diese Versuchung nicht groß. Denn die Gottesbeziehung sei im Noviziat aufgrund der Ausrichtung des gesamten Lebens auf das Gebet intensiver als bei Leuten, die ganz in der anderen Welt lebten.
Wir setzten uns in eine Strandbar, die in der Altstadt auf einer Halbinsel im Flüsschen Pegnitz lag. Leuchtreklamen spiegelten sich auf der Wasseroberfläche, die Nacht war sternenklar, aber nur die kräftigsten Sterne konnten sich gegen den Lichtsmog der Stadt durchsetzen. Kein Stern reflektierte im Wasser. Eine Bisamratte kraulte zielstrebig durch den Swimmingpool. Die Bässe der Strandbarmusik gaben ihr den Takt an. Wir tranken schwarzes Tucher aus Flaschen.
»Ich persönlich halte das Bier wirklich für ein Geschenk Gottes«, glaubte Mathias.
An so einem Sternenabend bot es sich an, über Liebesgeschichten zu reden, und seine letzte lag nicht lang zurück. Ausgerechnet wenige Tage bevor das Noviziat begann, verliebte er sich in Schweden. In eine Frau, die ihm in seiner Erinnerung wie seine Traumfrau schien: wunderschön, klug, katholisch. Die letzten Sommertage des vergangenen Jahres verbrachte er mit ihr an Göteborgs Küste, ohne dass mehr passiert wäre als Gespräche. Die letzte Nacht machten sie durch, sie saßen an der Kaimauer und redeten über die Welt und Gott. Morgens wollte Mathias dann nach Hause gehen, war aber so in Gedanken, dass er sich verlief, zehn Kilometer in die falsche Richtung. Sein Bruder holte ihn irgendwann mit dem Auto ab und fragte, was denn los sei.
In den ersten drei Monaten in Nürnberg zweifelte er stark an seiner Entscheidung, Jesuit zu werden, und er weinte jede Nacht. Die Heiligenbiografie bekam Brüche, aber vielleicht hatte der Drehbuchautor das genau so gewollt. Das Mädchen ging ihm nicht aus dem Kopf. Sie schrieben sich Mails, sie schickte ein romantisches Gedicht, mit dem sie Mathias für eine Nacht dankte, die ihr Herz aufgebrochen habe. Mathias entschied sich aber dafür, die Exerzitien im Dezember abzuwarten und dann zu entscheiden, ob er bleiben sollte. Das starke Heimatgefühl wiederholte sich, es war stärker als die Verliebtheit, und er sagte sich, die Sommernächte von Göteborg seien ein schöner Abschluss seines alten Lebens gewesen, doch nun habe sein neues begonnen. Treue, sagte er, sei ja in jeder Ehe eine ständige Herausforderung, wieso sollte es bei Priestern in ihrer Gottesbeziehung anders sein?
Wir zahlten unser Bier an der Theke der Strandbar, Mathias hatte seine Münzen anstelle eines Portemonnaies in eine Frischhaltefolie eingewickelt. Es war halb zwölf, und er wollte zurück ins Novizenhaus, denn er stand am Morgen noch eine Stunde früher auf als die anderen, weil er vor der Morgenbetrachtung Tai-Chi-Übungen im Garten machte.
Als wir die Strandbar verließen, sah ich, dass sie »Liebesinsel« hieß.
Am nächsten Tag brach der Internetanschluss zusammen. Mathias versuchte stundenlang, ihn zu reparieren. Der Rooter schien defekt zu sein. Auch Pater Maureder und sein Assistent Pater Steiner versuchten, das Problem zu lösen; sie standen neben dem Rechner im Computerraum im Erdgeschoss und konnten doch nicht helfen.
»Ich kann zwar erklären, wie der Herr in die Hostie kommt, aber nicht,
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