Vom Aussteigen und Ankommen
Film: Mathias’ biologischer Vater war Finne. »Papa« nannte er aber den neuen Mann seiner Mutter. Beide Väter waren Wirtschaftswissenschaftler und nichtreligiös. Mathias’ Lebensweg hingegen klang wie eine verklärte Heiligenbiografie. Er erzählte sie so: Im Konfirmations-Vorbereitungskurs betrat er im Alter von vierzehn Jahren erstmals eine Kirche. Darin hatte er ein Heimatgefühl, wie er sagte. Er beschäftigte sich mit der Bibel, Zweifel rissen ihn hin und her, dann betete er: Gibt es dich, Gott? Was soll ich tun, um die Antwort zu finden? Er nahm seine Bibel, klappte zufällig irgendeine Seite auf und erwischte die Apostelgeschichte eins:
Dann beteten sie: Herr, du kennst die Herzen aller; zeige, wen von diesen beiden du erwählt hast, diesen Dienst und dieses Apostelamt zu übernehmen. Denn Judas hat es verlassen und ist an den Ort gegangen, der ihm bestimmt war. Dann gaben sie ihnen Lose; das Los fiel auf Matthias, und er wurde den elf Aposteln zugerechnet.
»Matthias«: Tatsächlich hatte Mathias ausgerechnet diese Stelle erwischt, die einzige in der gesamten Bibel, in der der Name Matthias vorkommt. Obwohl sich jener Matthias offensichtlich mit doppeltem t schrieb, empfand Mathias dies als Zeichen Gottes. Er hätte ja auch verrückt sein müssen, es nicht so zu sehen.
»Das hat ganz viel mich beeindruckt«, sagte Mathias, der erst vor wenigen Monaten begonnen hatte, Deutsch zu lernen. Er zappelte mit den Beinen auf und ab und redete schnell. Die Sonne trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn. Vielleicht hatte er auch Angst, nicht verstanden zu werden.
Eine Nachbarin hatte Mathias, als er fünfzehn Jahre alt war, einmal gefragt: »Mathias, solltest du nicht Priester werden? Das würde zu dir passen!« Er war Protestant und wunderte sich sehr, warum sie »Priester« gesagt hatte und nicht »Pfarrer«.
Er las mehr christliche Literatur und kaufte sich eines Tages ein Buch vom Wühltisch: den Pilgerbericht der heiligen Birgitta. Darin wurde das Kloster Vadstena erwähnt, das Birgitta in folge einer Christuserscheinung hatte errichten lassen. Da woll te er hin.
In den Sommerferien verdiente er Geld für die Reise. Als er in den Herbstferien genug zusammenhatte, telefonierte er mit den Birgittaschwestern, meldete sich als Besucher an, sie waren einverstanden, und er stieg in den Zug nach Vadstena. Er sah dort das erste Mal in seinem Leben eine Nonne und lebte eine Woche bei den zwölf Schwestern. Er war sechzehn. Just normal? Die Blätter fielen, und Mathias mähte den Rasen um das Kloster herum. Zwischendurch nahm er täglich an sieben Gebeten teil. Da habe er etwas Neues entdeckt, echte Liebe zu Christus. Er holte eine Rosenkranz-Holzperlenkette aus seiner Hosentasche.
»Ich habe den Rosenkranz regelmäßig gebetet, und das war wirklich toll und so.«
Silberne Münzen mit Heiligenprägungen hingen daran: der heilige Franziskus, Maximilian Kolbe, Birgitta, Teresa von Àvila, Ignatius von Loyola.
Bis er neunzehn war, verbrachte Mathias alle weiteren Schulferien im Schwesternkloster. Seine Mutter fand das zwar etwas ungewöhnlich, war aber der Ansicht, es sei besser, als wenn der Junge nur in Pubs rumhänge und kiffe; und sein Vater sagte: »Ach, Mathias, gib’s doch zu, du hast da eine Freundin!«
Nach dem Abitur fragte sich Mathias, was er studieren solle, er wollte gern Priester werden, aber auf keinen Fall zölibatär leben. Das Zölibat fand er falsch, obwohl er vom keuschen Leben der Schwestern einen guten Eindruck hatte: »Ein tolles, heiliges Leben haben sie gelebt, nicht ein trauriges und freudloses, wie die Welt sich das immer vorstellt.« Aber die waren im Schnitt vielleicht sechzig Jahre alt, und er war achtzehn.
Außerdem war Mathias evangelisch und unsicher, ob er konvertieren sollte. Die katholische Kirche wurde in seinem Umfeld negativ wahrgenommen. Er begann, Religionswissenschaften auf Lehramt in Uppsala zu studieren, und konvertierte im April 2003. Als er fast schon bereit war, Priester zu werden, verliebte er sich in Griechenland in eine schwedische Studentin. Die beiden zogen in Göteborg zusammen. Sie war nicht religiös, und er war bereits so weit fortgeschritten, dass er täglich Stundengebete las. Trotzdem liebten sie sich, doch nach fünf Jahren ging die Beziehung auseinander. Dann trat Mathias ins Priesterseminar ein, in Uppsala war er im Seminar Missionswissenschaften der einzige Student und lernte den Professor, einen Jesuiten, und darüber den Orden kennen. Er machte
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