Vom Aussteigen und Ankommen
beigetragen hatte. Er war bei der Bayerischen Landesbank beschäftigt, die später mehrere Milliarden Euro infolge der Weltwirtschaftskrise verlor. Hans-Martin programmierte Computersoftware, mit der Risiken von Wertpapieren berechnet wurden. Seine Diplomarbeit hatte den Titel »Zum spezifischen Zinsrisiko auf Basis von Credit Default Swaps«.
Die Bayerische Landesbank war in dieser Zeit noch wie eine Behörde. Sein Job galt als einer fürs ganze Leben, die Kollegen waren keine Karriereroboter, die Arbeitszeit moderat, vierzig Stunden in der Woche. »Du bist jemand, der sein Leben lang bei uns bleibt«, sagte sein Chef. Zwei Jahre später, ein halbes Jahr nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers, kündigte Hans-Martin.
Zum Abschied stellte er Bier und Spanferkel hin. Eine Kollegin fragte ihn zu seiner Zukunft bei den Jesuiten: »Darfst du dann noch mit Frauen sprechen?« Ein anderer: »Kriegst du dann nur noch Wasser und Brot?« Wieder andere meinten aber im Eindruck der Bankenkrise, vielleicht habe er genau die richtige Entscheidung getroffen.
»Wenn einige Banker eines Tages Exerzitien machten, dann hätte ich auch von hier aus viel für die Wirtschaft getan«, sagte Hans-Martin.
Er war Vollblutkatholik, Messdiener vom Kommunionskind bis zum Banker, doch die Entscheidung, alles hinzuschmeißen und Jesuit zu werden, war die erste wichtige Entscheidung in seinem Leben, die er nicht vom Kopf her getroffen hatte.
Vom Herzen her hätte er auch gern eine Familie gegründet. »Das war die Frage: Wo hängt das Herz mehr? Und das war, den Weg mit Gott zu gehen. Alle meine Freunde bauen jetzt Häuser, bekommen Kinder und heiraten, und da sehe ich mich nicht, da würde mir etwas fehlen. Ich glaube, die Gesellschaft ist sich gar nicht darüber im Klaren, was ihr gerade verloren geht mit dem christlichen Fundament, daran will ich etwas tun.«
Einfach war das nicht. Er arbeitete zur Zeit in einem Krankenhaus. Ein Patient beachtete ihn überhaupt nicht. Als der erfuhr, dass Hans-Martin Jesuitennovize war, interessierte sich der Mann plötzlich für ihn und sagte: »Oh, dann verdienen Sie bestimmt viel Geld.« Als Hans-Martin ihn über sein Einkommen aufklärte, sagte der Patient: »Oh, dann musst Du ja fröhlich sein.«
Warum Gehorsam? Dieses Gelübde sei verbunden mit der Überzeugung, dass Gott die Oberen im Orden leite, sagte er. Die Grenzen des Gehorsams seien da, wo ein Erfüllen dem Gewissen widerspricht. Es schien ihm nicht konsequent, dass die aufgeklärte Gesellschaft den Gehorsam im Orden so kritisch sah. In der freien Wirtschaft ordne sich jeder Angestellte seinem Arbeitgeber unter, oft ganz enorm. Er verkaufe zwei Drittel seiner Lebenszeit an das Unternehmen, müsse loyal sein, den Wohnort wechseln und so weiter. Jeder Beamte verkaufe sich an den Staat. Und Ordensleuten werde dieses Versprechen als Freiheitsflucht angekreidet.
Im Garten des Novizenhauses waren die Pflanzen mit Schildern versehen, die auf passende Bibelstellen verwiesen: »Markus 14, 26/Ölbaum«, »Johannes 15, 5/Wein«, »Jesus Sirach 24, 4/Zypresse« oder »Matthäus 6, 28–30/Lilien«.
An zwei Abenden in der Woche gab es Bier: sonntags, weil das der Tag der Auferstehung war. Und dienstags war der Gemeinschaftsabend. Dann standen auf dem Tisch des Gemeinschaftsraums im Keller einige Flaschen Ammerndorfer Bräu und Pyraser Angerwirts Weizen sowie Chipstüten, Toffifee und Milka Caramel.
»Das ist jetzt sehr bürgerlich«, entschuldigte sich Hans-Martin, »aber die Süßigkeiten sind Geschenke von Gästen.«
Der Gemeinschaftsabend war nach nicht einmal einer Stunde beendet, wir gingen um 22.00 Uhr schlafen.
Von der Sommerromanze in die Keuschheit
Mathias kam aus einem Land, das etwa so katholisch ist wie die Türkei, nämlich aus Schweden. Wir saßen auf dem Balkon des Novizenhauses in der Sonne, die nun, Mitte Juni, zum ersten Mal auf dieser Reise eine heiße Sommersonne war.
Mathias kam dem Klischee aus dem neunzehnten Jahrhundert, als die Jesuiten als schwarze Elitetruppe des Vatikans galten, farblich am nächsten mit seinen schwarzen Sneakers und dem schwarzen T-Shirt, auf das ein Logo von Absolut Vodka aufgedruckt war. Er hatte dunkelbraunes Haar, Koteletten und leichte Sommersprossen. Er liebte New York, Monty Python, Mozart, deutsches Bier, Kant und Marilyn Manson und wirkte nicht wie jemand, der sich für die Keuschheit entscheidet.
Sein Weg zur Keuschheit war ein langer und las sich wie das Drehbuch zu einem
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