Vom Aussteigen und Ankommen
wie das Internet in den Computer kommt«, sagte Pater Steiner.
Ignatianische Exerzitien
In der Instructio am Freitag erzählten sich die Novizen von den Bildern, die ihnen während der großen Exerzitien bei der ignatianischen Betrachtung zur Geburt Christi gekommen waren.
»Josef nahm ein warmes Tuch und half beim Säubern des Säuglings«, sagte einer.
»Ich habe die Plazenta herausgetragen«, sagte einer.
»I hob g’dacht: ›Wieso muss da an Rindviech dabei sein?‹ Und dann hob i g’dacht: ›Wenn da schon ein Rindvieh dabei ist, dann bin i dos‹«, sagte Hans.
Hans hatte die Geburt Jesu aus der Perspektive des Ochsen beobachtet.
Dann sprachen wir über die ignatianische Betrachtung der Menschwerdung, die ein zentrales Stück ignatianischer Spiritualität ist. Pater Maureder erzählte dazu folgendes Gleichnis:
Ameisen bauen einen Hügel. Um Tannennadeln dafür zu finden, müssen sie eine Straße überqueren und in den Wald laufen. Sie gehen immer denselben Weg, und Autos fahren immer mal wieder vorbei und zerquetschen Ameisen. Ganz blöd sind die Ameisen aber nicht: Sie denken kurz nach, wenn sie eine tote Ameise sehen, machen einen Bogen darum, aber gehen dann doch wieder irgendwann den alten Weg.
Eine Frau sieht das und hat Mitleid. Sie versucht, die Ameisen umzuleiten durch ein Rohr, das einige Meter weiter unter der Straße herläuft. Sie stellt ihren Fuß in den Weg, es nutzt nichts. Sie schubst Ameisen rüber zum Rohr. Ein paar gehen durch, doch wenig später gehen wieder alle auf der Straße des Todes.
Dann sagt die Frau: »Ich müsste eine von euch werden und eure Sprache sprechen, um euch den Weg des Lebens zu zeigen.«
Der mitleidende Gott habe sich ins Leben hineinbegeben, der Gott, der bis zum Kreuz mitleide, den die Bosheit des Menschen erschlagen habe, sagte der Exerzitienmeister. Aber das noch größere Problem der Menschen als ihre Böswilligkeit sei ihre Blindheit. Der Mensch sei blind, aber er wäre eigentlich fähig, Gott eine Antwort zu geben, so wie Maria dem Engel.
Meist saß Pater Maureder in den Instruktionsstunden mit angewinkelten Armen in der hinteren Reihe und wirkte introvertiert und unnahbar wie ein Lehrer der alten Schule. Doch jetzt begann er sich zu begeistern. Er gestikulierte, seine Arme tanzten durch die Luft, und er sagte das einzige Mal in der Woche einen persönlichen Satz: Die Betrachtung der Menschwerdung, und zwar die daraus gewonnene Erkenntnis, dass Gott kein Marionettenspieler sei, sondern ein Gott, mit dem wir in Dialog treten könnten, habe ihn mit neunzehn so berührt, dass er ihn dazu bestärkt habe, in den Jesuitenorden einzutreten. Da war er keine zwanzig.
»Hybris!«, hätte der Waldmensch aus dem Westerwald in den Klassenraum gerufen, wäre er ein Novize gewesen.
Maria hätte auch Nein zum Engel sagen können, als er sie fragte, ob sie vom Geist Gottes ein Kind empfangen wolle, sagte Pater Maureder. Wir alle seien immer frei, Nein zu sagen – oder Ja. Nur im Dialog sei Liebe möglich. Daher habe sich der König auch das Bettelgewand anziehen müssen und nicht das Königsgewand. Warum er sich denn nicht einfach zeige, damit wir ihn als Gott klar sähen? Weil das eine liebevolle Beziehung ausschlösse, und dafür unterwürfigen Gehorsam verlangte, antwortete Josef Maureder, und es war schon bemerkenswert, dass die Jesuiten, die sich frei dafür entschieden hatten, gehorsam gegenüber dem hoffentlich von Gott geleiteten Ordensoberen zu leben, diese Art von Gehorsam gegenüber Gott kritisch sahen.
Im Grunde, sagte Maureder irgendwann später ohne erkennbaren gedanklichen Anschluss an das Gleichnis, im Grunde sollte es wehtun, mutwillig eine Ameise zu töten. Oder einen Stuhl, auf dem man Jahre gesessen habe, in den Container zu schmeißen. »Ich habe doch eine Beziehung zur Schöpfung und zum Stuhl«, sagte er. So ähnlich hatten es die Likatier auch gesagt, so ähnlich ebenso die Damanhurianer. Es gab vielleicht mehr Gemeinsamkeiten zwischen meinen Aussteigern als zwischen ihnen und den Menschen aus den Reihenhäusern. Doch wenn man sie alle zusammenbrächte, würden sie sich wahrscheinlich nicht gut verstehen.
Hupen und Gesänge drangen am Freitagabend von draußen in den Essensraum herein. Jemand fragte, ob heute die Fußball-Weltmeisterschaft begonnen habe. Hans-Martin bejahte die Frage. Er habe das am Morgen in der Zeitung gelesen.
Am Sonntag trugen alle Stoffhosen, Hemden, manche eine Kra watte. Das Mittagessen war feiner, es gab Spargel
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