Vom Aussteigen und Ankommen
würden sie am Abend wieder holen, bevor wir uns einen Schlafplatz suchen mussten. Jetzt sollten wir aber damit beginnen, nach einem Mittagessen zu suchen. Mehr als Essen, Trinken, Luft und etwas Schlaf brauchte man ja nicht zum Überleben, sagte Elf gut gelaunt. Sehr viel mehr hatte er auch nicht mehr, seit das Geld aus seinem Leben verbannt war.
Wir gingen an einem See vorbei, unter einer lärmenden Brücke hindurch, und stießen bald an ein Ende des Parks. Pavlik faltete einen Stadtplan aus, den ihm Touristen geschenkt hatten. »Sankt Nikolaus«, sagte er und zeigte auf eine Stelle in der Nähe unseres Standorts, »let’s go there.« Sankt Nikolaus war ein Altenheim der Diakonie, ein guter Ort zum Betteln. Wir gingen hinein, auf dem Boden glänzten Kacheln, und Plastikblumen standen auf dem Empfangstresen. Die Rezeptionistin fragte, was wir wollen. Pavlik erklärte es ihr: »Ich bezeichne mich als Elfen. Ich mache ein Experiment, Leben ohne Geld, und er ist Journalist und begleitet mich für ein paar Tage. Wir lehnen den Gebrauch von Geld ab. Könnten wir bei Ihnen ein Essen bekommen?«
Die Dame schaute skeptisch, aber ihr Blick war nicht vernich tend, sondern er enthielt auch ein wenig Sympathie. Sie ging in ein Büro, um die Heimleitung nach einer Essenserlaubnis zu fragen, und kam mit ablehnender Antwort zurück. Viel Glück, sagte sie, ein interessantes Experiment sei das, aber sie sagte nicht, warum sie dieses Experiment interessant fand.
Pavlik warb für eine Welt, in der die Menschen sich nur noch beschenken. Er lehnte nicht nur das Geld, sondern auch Tauschgeschäfte ab.
Im Sommer lebte er eigentlich auf dem Land. Dort half er auf Biohöfen bei der Ernte mit. Er bot seine Arbeit über seine Internetseite jedem an, wofür die Voraussetzung war, dass er sich mit den Zielen der Arbeit identifizieren kann. Seine weiteren Bedingungen waren: Die Unterkunft musste möglichst naturnah sein, er verlangte vegane biologische Verpflegung und war bereit, am Tag maximal drei Stunden körperliche Arbeit zu leisten und dazu bis zu vier Stunden Arbeit am Computer.
Die Nachfrage nach seiner Arbeitskraft war aber gering.
Hielt er sich in einer Stadt auf, lebte er von Armenspeisungen und vom Containering, also von Nahrung, die er in den Abfällen der Supermärkte fand. Das hielt er, anders als Tauschgeschäfte, für korrekt, weil es die Nachfrage nach konventionellen Lebensmitteln nicht erhöhe und somit auch nicht die Produktion. Als er mir erzählte, dass er im urbanen Umfeld von Müll lebe, bereute ich, mich mit ihm in einer Stadt getroffen zu haben.
Es wurde Nachmittag. Wir gingen in Richtung Bahnhofsmission. Die sei immer für einen Tee und für einen Kuchen gut, sagte der Elf. Aber sie lag mehrere Kilometer vom Sankt-Nikolaus-Heim entfernt. Wir gingen die Gründerzeitstraßen Schwabings und die Leopoldstraße hinab, klassizistische Gebäude schauten auf uns herab, die Universität, Staatsministerien, wir gingen auf den Odeonsplatz, die Münchner Bourgeoisie schwärmte uns ge schäftig entgegen. Wir müssten Alternative finden, Hacker oder Troublemakers, sagte der Elf, die seien hilfsbereiter als diese Leute hier.
Pavlik lehnte auch Staaten wie überhaupt alle »künstlichen Identitäten« ab, wie er sie nannte. Seinen Personalausweis und Reisepass hatte er deshalb einem Papierwolf zum Fressen gegeben, bevor er sich im Sommer 2009 während eines Aufenthalts in einem Ökodorf in Portugal dazu entschloss, fortan Elf zu sein.
Er zeigte sich fest davon überzeugt, dass in wenigen Jahren die Mehrheit der Menschen freiwillig, nur durch vernünftige Einsicht, auf Geld verzichten würde. Damit wären viele Probleme dieser Zeit gelöst: Der Staat könne sich und seine Kriege nicht mehr über Steuern finanzieren, die Zentralbanken könnten so viele Euros drucken, wie sie wollten, und keiner würde sie haben wollen, glaubte Pavlik.
Am Odeonsplatz begegneten wir einer Verkäuferin der Obdachlosenzeitschrift Biss . Die Frau erzählte uns von ihrem Schicksal: Sie war drei Wochen lang obdachlos gewesen, vor einigen Jahren am Bodensee, dort schlief sie in einer Baracke, und die Bauern gaben ihr, wenn sie fragte, nicht einmal das Fallobst. Es sei schlimm gewesen, ganz schlimm, doch jetzt sei sie wieder zurück im Leben.
Pavlik fragte die Zeitschriftenverkäuferin, wo es in der Stadt gute Obdachlosenspeisungen gäbe. Sie empfahl uns das Bonifatiuskloster, dort gebe es von acht bis zehn Uhr morgens Essen, sagte sie. »Aber so
Weitere Kostenlose Bücher