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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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und Braten. In einem Österreicher Frauenkloster, erzählte Pater Maureder, aßen die Schwestern zweimal in der Woche Fleisch. In einer Besuchergruppe war einmal ein strenger Vegetarier, der das streng kritisierte.
    »Wissen Sie«, sagte ihm eine der Schwestern, »wir müssen manchmal arbeiten.«
    Als mir Claus beim Mittagessen Wasser nachschenkte, wollte ich fast Amen sagen. Zum Salatbüfett ging ich mit kleinen Schritten und geradem Rücken, brav wie ein Messdiener. Ich musste mich zusammenreißen, mich normal zu benehmen, auch wenn überall Kreuze hingen. Vielleicht ist, als ich ein Kind war, irgendwas mit meiner Erziehung falsch gelaufen. Vielleicht war es auch Zeit, weiterzuziehen, und schließlich war ich am nächsten Tag mit einem weiteren Heiligen verabredet: einem Typen, der seit langer Zeit kein Geld mehr benutzt.
    Ich ging aus dem Eisentor hinaus auf die Virchowstraße. Bei meiner Ankunft war es mir so vorgekommen, als halte das Tor die Novizen von der Welt fern. Nach einer Woche merkte ich, dass das Tor die Welt draußen halten sollte, was auch sehr hilfreich war, um ihnen den Start in einen so radikal inneren Lebensweg zu erleichtern. In eineinhalb Jahren würde niemand von ihnen mehr hier sein. Mathias konnte sich vorstellen, mit Obdachlosen zu arbeiten oder in China zu missionieren, wo die Leute noch Moral und Ethik suchten, während in Europa alle schon ihre Moral gefunden hätten, sagte er einmal, so wie ein Unternehmer über Absatzmärkte für Autos sprach. Hans wollte Priester werden, aber »kein Sakrament-Spendeautomat«, sondern einer, der Zeit für seine Gemeinde hatte. Hans-Martin wollte Brücken bauen zwischen der christlichen Ethik und der Finanzwirtschaft. Christoph reizte die Wissenschaft, vielleicht auch in China, dessen Sprache er sprach. Entscheiden würde das keiner von ihnen selbst, das war die Aufgabe des Provinzials. Manchmal war die Mission der Jesuiten lebensgefährlich. Kürzlich waren zwei Patres in Russland ermordet worden, und einen Pater hatte man gerade wegen Morddrohungen aus Istanbul abgezogen.

Leben ohne Geld in München
    P avlik hatte keinen festen Wohnsitz. Er stellte mir frei, in welcher Stadt wir uns treffen. Ich entschied mich für München, denn ein Leben ohne Geld in einer Stadt mit viel Geld auszuprobieren erschien mir besonders interessant.
    Für »zwischen zehn und zwölf Uhr« hatten wir uns im Biergarten am Chinesischen Turm verabredet. Auf eine exakte Zeit wollte sich Pavlik, der sich »Elf« nannte, nicht einlassen, denn er reiste aus Bochum an, und Reisen ohne Geld hatten den Nachteil, dass die Ankunftszeit vorher nicht feststand.
    Im Biergarten standen zwei schwarz gekleidete Sicherheitsleute vor leeren Biertischreihen. Es regnete leicht. Der Elf war schon da, er saß unter dem Dach des Chinesischen Turms auf einer Bierbank, hatte eine grüne Jacke an, eine schmutzige Militärhose mit ausgebeulten Seitentaschen und Rissen an den Knien. Er trug Wanderschuhe, die gegen das Unterwegssein rebellierten, indem sie sich auflösten. Er sah aus wie ein Obdachloser.
    Er lebte auch fast so. Aber er tat das freiwillig, er dachte sich etwas dabei. Bereits seit mehr als einem Jahr nannte sich der siebenundzwanzig Jahre alte Pole Pawel Jósef Stanczyk nicht mehr »Pawel Jósef«, sondern »Elf Pavlik«. Der sollte sein endgültiger postbürgerlicher Name sein. Er roch, wie ein Mensch riecht, der sich und seine Kleider einige Tage und Nächte nicht gewaschen hat.
    Pavlik blickte mich musternd und freundlich durch seine schwarze Kunststoffrahmenbrille an, die Gläser vergrößerten seine Augen. Er trug ein schwarz-gelb gestreiftes Kopftuch eng über der Stirn zusammengerafft, es fiel ihm über die Schultern und ließ ihn aussehen wie einen Pharao. »Ich sitze seit gestern Abend hier«, sagte er. Er war schneller von Bochum nach München getrampt als erwartet. Die Fahrt hatte nur dreizehn Stunden gedauert. Ich bot ihm eine Quarkschnecke an.
    »Enthält sie tierische Produkte?«, fragte der Elf.
    »Ja, Quark.«
    »Tut mir leid, dann kann ich sie nicht essen, weil du sie gekauft hast und damit die Nachfrage nach Quark erhöht hast. Hätten wir sie als Abfall in einem Container gefunden, würde ich sie essen.«
    Ich sah drei anstrengende Tage auf mich zurasen wie einen D-Zug in eine Herde mittelalterlicher Zwergschafe.
    Sein Zelt und den Rucksack, in dem sein gesamter Besitz steckte, hatte Pavlik einige Kilometer weit nördlich im Englischen Garten im Gebüsch versteckt. Wir

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