Vom Baum Der Erkenntniss
Nagelstahl ihre Finger und Nägel pflegen können: man findet sie auch bei Frauen aus dem Volk, bei mildthätigen, hingebend gestimmten Naturen, sanften Müttern, duldenden Ehegattinnen, die unter mancherlei Bedrängnissen zu leiden und sich dem Schicksal still ergeben zu fügen verstehen.
Man kann mit jener Carus'schen Definition der schönen Seele um so einverstandener sein, als sich in ihr das Gefühlsmoment mehr hervorgehoben findet als die Intelligenz. Es ist ein Vorwurf, den wir gegen die psychologischen Erörterungen jenes geistreichen und den Dingen auf die Tiefe gehenden Denkers nie haben unterdrücken mögen, daß sich das, was er hochzustellen und bedeutend zu nennen pflegt, gewöhnlich mehr in der Gegend des erkennenden und interessirten Geistes als in der des Herzens befindet. Die Welt der Entsagung, der Unterordnung und Demuth ist doch sehr oft imLeben leider nur die leere Reversseite von Medaillen, die sehr glänzend nach der Seite des Geistes, des Interesses, der »höhern Empfänglichkeit« strahlen. So treffend und anregend die Definitionen des menschlichen Wesens nach den Eindrücken der menschlichen Gestalt sein mögen, so verwundert doch nicht selten auch bei Carus die allzu sichere Eintheilung in Hoch, Höher, Höchst, in Gewöhnlich und Mittel, in Niedrig und Gering je nach der Außenseite des Menschen, über die uns so unabweisbar tief der Glaube an ihre Zufälligkeit eingeprägt ist. Bei all der ebenso gelehrten wie geistvollen Erörterung kommt dann immer recht beklemmend Eins ins Gedränge, eben jenes Herz, das oft unter unscheinbarster Hülle so treu und warm zu schlagen weiß. Lesen wir nicht schon im Hafis, wenn anders Daumer recht übersetzt hat, das schöne Wort, daß das, was uns Menschen hienieden oft häßlich, garstig, krumm, buckelig, lahm und schielend erscheinen will, im Auge Gottes eitel Schönheit ist?
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Eine »schöne Seele« zu heißen ist der Ehrgeiz so vieler Frauen. Aber meist verstehen sie darunter nur dieFähigkeit, das Schöne zu empfinden, zu genießen. Die Schönheit der Seele besteht in mehr als nur im glücklichen Genusse des Schönen. Sie soll dem Schönen auch zum Siege verhelfen über das Unschöne und Rauhe und Gemeine des Lebens. Eine »schöne Seele« soll streiten und, wenn sie träumt, von gewonnenen Schlachten träumen. Die »schöne Seele« soll auch mit dem Herzen denken und jede störende Lücke, die sie im Leben findet, handelnd zu füllen bereit sein. Wenn ihr Innerstes Musik in Allem ist, sollte sie ohne die Harmonie der Welt nicht sein und leben können. Eine schöne Seele, die nicht dem Unterdrückten beispringt, nicht der Uebergewalt steuert, die abwesende Gegenpartei vertritt, nicht immer und überall ausgleicht und das Ungebührliche in seine Schranken verweist, verdient nicht den Namen: sie ist nur Empfindlerin.
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Die Phantasie erfindet, das Herz entdeckt.
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Wie viel Unheil richten nicht in der Welt diese nagenden, alles zerzupfenden Halbnaturen an, die heuteeinen Anlauf zur Bedeutsamkeit nehmen, morgen der geringsten Schmeichelei unterliegen, ihre Stimmungen der Langenweile für ein Bedürfniß nach Lebenspoesie ausgeben, mitten aus künstlich heraufbeschworenen Verhimmelungen in die trivialste Abhängigkeit von den Gesetzen der Erde fallen, ewig sich mit dem Schein einer gebildeten Selbstbeherrschung schmücken, dann aber um des geringsten, ihr Interesse berührenden Anlasses willen doch ihrer Zunge den unbedachtesten Lauf lassen, charakterlos jedem Neuen nachlaufen, dem, was ihnen imponirt, so lange huldigen, bis eine neue Erscheinung es wieder verdrängt hat, in allem, was sie nur aus sich heraus lieben und verehren sollten, abhängig sind von fremder Zustimmung, und wo diese, bei den tausenderlei verzweigten Egoismen des Lebens ausbleibt, schnell die Fahne ihres eben vorgezogenen Günstlings wieder verlassen, Menschen, die nie mit etwas fertig werden, alles anfangen, stets gefunden haben und doch schon wieder suchen und suchen und mitten in der Selbstqual, die aus einem solchen dämmernden Zustand entsteht, mitten in dem drängenden Unmuth der Nichtbefriedigung und einer für die Eitelkeit nicht genug ausreichenden allgemeinen Anerkennung plötzlich zum glückseligsten Stillstand all dieses Wogens und Wollens gelangen, wenn man etwa –die Weiße ihrer Hände rühmt! Denn man wird wol schon gemerkt haben, daß in Vorstehendem vorzugsweise eine Erscheinung aus dem Leben des weiblichen Geschlechts geschildert sein
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