Vom Dämon gezeichnet - Rowland, D: Vom Dämon gezeichnet
Zimmer schon verlassen, bevor ich überhaupt aus meinem Sessel aufstehen konnte. Als ich den Flur hinuntergegangen war und die Bibliothek betrat, saß Tante Tessa bereits im Schneidersitz auf dem Boden, und ein Haufen Bücher lag um sie herum.
Ich legte meine Tasche auf einen Stapel Papier, der auf dem Tisch lag. Es hatte keinen Sinn, sich nach einem freien Platz umzusehen. Ich war schon immer der Meinung gewesen, dass die Bezeichnung Bibliothek für diesen Raum ziemlich unpassend war. Wenn man von einer Bibliothek sprach, dachte man eher an etwas Übersichtliches, wo Bücher in Regalen standen und nach irgendeinem logischen System geordnet waren. Aber hier gab es weder Logik noch irgendeine Art von System.
Sicher, es gab durchaus Regale an den Wänden, die alle mit Büchern oder Zeitschriften der verschiedensten Art vollgestopft waren, aber die Bücher lagen und standen völlig planlos darin, meistens nicht mal mit dem Buchrücken nach vorn, sodass man den Titel hätte erkennen können. Nirgends war ein Fleck von der Wand zu sehen. Jeder Zentimeter vom Boden bis zur Decke war mit Regalen zugebaut. Ein breiter Holztisch mit zwei abgenutzten lederbezogenen Stühlen beherrschte die Raummitte. Bücher und Papiere stapelten sich auf dem Tisch, den Stühlen und an den verschiedensten Stellen auf dem Boden.
Von der Mitte der Decke hing ein üppiger Kristallkronleuchter – er war völlig fehl am Platz, da er eigentlich viel besser in den Ballsaal eines Kreuzfahrtschiffes gepasst hätte.
Ich hatte einmal die Frechheit besessen, meine Tante mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und darauf hinzuweisen, dass das Durcheinander in der Bibliothek unerwünschte Energien anziehen und ihre Beschwörungen stören könnte. Sie hatte nur knapp geantwortet, auch wenn ich ihr Ordnungssystem nicht verstehen würde, bedeutete das noch lange nicht, dass es nicht existiere. Verdammt, soweit ich es beurteilen konnte, hatte sie tatsächlich irgendeine Art Methode, aber in zehn Jahren war es mir nicht gelungen, sie zu durchschauen.
Tessa kratzte sich an der Nase, dann winkte sie mich heran. »Bist du sicher, dass er sich Rhyzkahl genannt hat?«
Ich ging hinüber zu meiner Tante und kniete mich neben sie. »Äh … ja. Ziemlich sicher.« Mehr als sicher. Das Wort war genauso in meine Erinnerung eingebrannt wie die Erinnerung an ihn, seine Hand auf meiner Hüfte, seine Lippen auf meiner Haut. Der Anblick, wie er sich sein Hemd übergezogen hatte, das Spiel seiner Muskeln, überwältigender als bei jedem männlichen Fotomodell …
Plötzlich bemerkte ich, dass meine Tante mich mit zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete. Ich setzte ein unschuldiges Gesicht auf und versuchte zu verhindern, dass ich rot wurde.
Tessa warf mir einen abschätzenden Blick zu, dann deutete sie auf ein Bild in dem dicken Buch vor sich. »Das ist Rysehl.« Das Bild zeigte eine flügellose Kreatur, die aussah wie eine Mischung aus Ziege, Hund und Löwe mit einem in die Länge gezogenen Reptilienkopf und kleinen Stummelhörnern, die ihm seitlich aus dem Kopf wuchsen und sich nach vorn bogen. Ein dorniger Kamm wuchs ihm aus der Mitte der Stirn und verlief bis in seinen Nacken. Auf dem Bild hockte der Dämon am Boden, den Kopf schräg gelegt, als würde er lauschen. Ich kannte diesen Dämon, kannte das Gesicht. Das war Rysehl, ein Dämon der vierten Ebene. Derjenige, den ich hatte beschwören wollen.
Ich schüttelte den Kopf. »Auf jeden Fall ist der gestern Abend nicht aufgetaucht.«
Tessa zuckte die Schultern und blätterte zu einer Seite, die mit einer schwarzen Feder markiert war. »Okay, wie wäre es dann mit diesem? Das ist Rhial.«
Mit diesem Dämon hatte ich es noch nicht zu tun gehabt, aber ich erkannte sofort, dass es ein Mehnta war, ein Dämon der neunten Ebene – und ganz sicher auch nicht derjenige, auf den ich getroffen war. Mehnta sahen aus wie menschliche Frauen – das heißt menschliche Frauen mit Schwingen, klauenbewehrten Händen und Füßen und Dutzenden von schlangenähnlichen Tentakeln, die sich aus ihrem Mund ringelten. Ganz sicher nicht Rhyzkahl.
»Nein.« Ich wurde langsam unwirsch. Ich wusste, wie Dämonen aussahen. Die Unterschiede zwischen den Dämonen der unteren und oberen Ebenen waren nicht zu übersehen. Je höher die Ebene, desto größer und intelligenter waren sie. Ab der siebten Ebene hatten sie Flügel, und der Reyza von der zwölften Ebene war fast anderthalbmal so groß wie ein normaler Mensch. Das Gesicht eines Reyza hatte
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