Vom Dämon gezeichnet - Rowland, D: Vom Dämon gezeichnet
Erinnerungen an meine Mutter waren äußerst vage.
Heute trug meine Tante ein blaues Samtkleid, das ihr bis zu den Waden ging, dazu schwere Silberketten um die Hüften und schwarze Wildlederstiefel. Sie hob den Blick von ihrem Buch und betrachtete mich, während ich mich ihr gegenüber in einen Sessel setzte.
»Du lebst also noch«, stellte sie ohne lange Einleitung fest und legte das Buch zur Seite. »Was bedeutet, falls du Kehlirik beschworen hast, ist es zumindest nicht fürchterlich in die Hose gegangen.« Sie beugte sich vor und runzelte die Stirn, während sie mein Gesicht musterte. »Aber du scheinst über diese erfolgreiche Beschwörung nicht besonders glücklich zu sein.«
»Die Beschwörung von Kehlirik hat gut geklappt«, erwiderte ich. »Ich habe meine Ausbildung offiziell abgeschlossen und bin jetzt eine anerkannte Beschwörerin.« Ich hielt kurz inne. Es wäre so einfach, es dabei zu belassen. Aber dann würde ich keinerlei Antworten bekommen. »Ich … äh … habe gestern Abend wieder eine Beschwörung versucht, und … na ja, es ist nicht ganz so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte.«
Die Gesichtszüge meiner Tante schienen irgendwie schärfer zu werden. »Das ist allerdings schlecht. Wenn es im Verlauf einer Beschwörung auch nur die geringste Abweichung gibt, befindet sich zumindest einer der Beteiligten hinterher meistens in ziemlich schlechter Verfassung.« Sie hob eine Augenbraue. »Also, was ist passiert? Du hast noch einmal versucht, einen Dämon aus einer höheren Ebene zu rufen, und konntest ihn nicht halten? Du hast ihn wieder entlassen? Er ist nicht ganz zu dir durchgedrungen?« Sie schüttelte den Kopf. »Zwei große Beschwörungen hintereinander durchzuführen ist ziemlich riskant.«
Ich stöhnte. »Tante Tessa, ich weiß nicht, was schiefgelaufen ist. Ich hatte überhaupt nichts Großes vor. Ich wollte einen Dämon aus einer niedrigeren Ebene beschwören. Rysehl. Wirklich ganz einfach. Und ich habe Rysehl auch gerufen, aber der ist nicht erschienen.«
Tessa erstarrte, und als sie weitersprach, hatte ihre Stimme jede Spur ihrer sonst üblichen Fröhlichkeit verloren. »Kara, was ist erschienen?«
Scheiße! Wie sollte ich meiner Tante nur erklären, dass ich nicht nur die Beschwörung verbockt, sondern dann auch noch mit der Kreatur Sex gehabt hatte?
Tessa ergriff meine Hand, und ihre knöchernen Finger taten mir weh. »Dein Schweigen macht mich verrückt, Kleine. Spuck’s aus.«
Ich wand mich. »Ich habe Rysehl gerufen – ich bin mir ganz sicher. Aber es war nicht Rysehl. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was es war, aber er hat gesagt, sein Name sei Rhyzkahl.«
Meine Tante verstummte, und als ich ihr ins Gesicht sah, erschrak ich über den entsetzten Ausdruck darin. »Tante Tessa? Was ist denn?«
Sie schluckte sichtbar. »Rhyzkahl.« Bebend holte sie Luft. »Und trotzdem bist du noch unter uns und, wie es scheint, unversehrt.«
Ich versuchte, bescheiden die Schultern zu heben. Über den Sex musste ich ihr doch wohl nichts erzählen, oder? »Ja … nun … ich meine … ich … äh … habe mich einfach daran erinnert, was du mir über die Entlassungen erzählt hast.« Ich vermied es, sie direkt anzusehen. Ich bin so ein verdammter Feigling. »Also … äh … was ist er?«
»Du hast ihn … entlassen «, stellte Tessa fest. Ihre Stimme klang ungläubig.
»Ich bin doch immer noch hier, oder?« Ich versuchte, gleichgültig zu klingen.
Meine Tante sagte nichts, und nach ein paar Sekunden riskierte ich einen schnellen Blick in ihr Gesicht. Tessa hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte mich finster an.
»Junge Dame«, sagte sie dann mit einer Stimme, die kalt genug war, um die gesamte Zitrusernte in Florida zu vernichten, »du wirst mir jetzt ganz genau sagen, was gestern Abend geschehen ist.«
Nervös holte ich Luft. »Erst wenn du mir sagst, wer oder was Rhyzkahl ist.«
Ich wappnete mich gegen eine verbale Abreibung, aber stattdessen seufzte Tessa nur und nickte. »Ja, das musst du erfahren. Es tut mir leid, dass ich dir das nicht längst beigebracht habe, aber ich hatte keine Ahnung, dass du verrückt genug sein würdest, einen seiner Art zu beschwören.«
»Ich habe es nicht absichtlich getan! Wer ist er?« Misstrauisch sah ich meine Tante an. »Irgendeine Art Wesen, das menschliche Gestalt annehmen kann?«
Tessa schüttelte den Kopf. »Nein, so einfach ist das nicht. Ab in die Bibliothek. Sofort.« Sie entfaltete ihre Beine und hatte das
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