Vom Dämon gezeichnet - Rowland, D: Vom Dämon gezeichnet
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Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und rieb mir die Augen. »Scheiße!« Vor dem Klingeln meines Weckers hatte ich nur zwei Stunden unruhig geschlafen, was mir weder neue Energie noch einen klareren Kopf verschafft hatte. »Scheiße!«, wiederholte ich, dann erhob ich mich. Es war gerade erst sieben Uhr, und die Autopsie des Opfers von der Kläranlage würde nicht vor Mittag stattfinden. Ich hatte noch Zeit, um mir ein paar Antworten von einer weitaus zuverlässigeren Quelle zu besorgen.
Ich zog mir Jeans und ein T-Shirt von einem Polizeitraining in Miami über, band mir einen Pferdeschwanz und klatschte mir ein bisschen Mascara auf die Wimpern, um nicht völlig ungeschminkt zu sein. Nach der Autopsie würde ich zurückkommen und mir etwas Vernünftiges anziehen. Es war einfach zu verlockend, mich in die Arbeit zu stürzen und diesen ganzen anderen Mist aus meinem Kopf zu verdrängen. Das war meine übliche Art, mit Stress umzugehen.
Aber mir war klar, dass ich dieses Problem nicht lange würde vor mir herschieben können. Ich musste etwas über die Hintergründe erfahren, und da das Internet mir nicht weitergeholfen hatte, hoffte ich, vielleicht in der Bibliothek meiner Tante etwas zu finden.
Nur musste ich mir zuerst überlegen, wie ich meiner Tante erklären sollte, dass ich eine so einfache Beschwörung verbockt hatte.
Tante Tessas Haus lag am Seeufer. Es war ein jahrhundertealtes Haus, das leuchtend weiß gestrichen war und dessen Veranda von entzückenden blauen Verzierungen geschmückt wurde. Die meisten der ähnlich hübschen alten Häuser in der Gegend waren restauriert worden und dienten heute als Touristenattraktion. Viele konnte man besichtigen. Das Haus meiner Tante allerdings nicht.
An der Tür hing ein lustiges Schild, auf dem stand: Willkommen! – was eigentlich ein Witz war, da meine Tante von dem Gedanken, Besuch zu bekommen, ebenso begeistert war wie ich selbst. Ich ging den Leuten aus dem Weg, indem ich mitten in der Walachei lebte, und meine Tante hatte arkanische Schutzwälle um ihr Haus errichtet. Wer nicht eingeladen war oder unbedingt dort sein musste, hatte, sobald er sich ihrer Tür näherte, plötzlich das Gefühl, noch etwas Dringendes erledigen zu müssen oder den Besuch auch genauso gut verschieben zu können.
Ich habe sie mal gefragt, warum sie das Willkommensschild überhaupt aufgehängt hatte. Sie hatte mir geantwortet, sie wolle nicht, dass die Leute von ihr denken, sie sei seltsam oder zu reserviert.
Ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man zu dieser Logik meiner Tante am besten nickte und dann das Thema wechselte.
Ich konnte das sanfte Prickeln der Schutzschilde spüren, als ich das Haus betrat. Es war ein Gefühl, als würde man durch einen unsichtbaren Perlenvorhang treten. Automatisch putzte ich mir die Füße ab, wobei ich bezweifelte, dass meine Schuhe dreckig waren. Aber Tante Tessa hielt ihr Haus so sauber, als diene es zu Ausstellungszwecken, obwohl sie niemand anderen hineinließ außer mir. Sie hatte das Haus selbst renoviert, kurz nachdem ich bei der Polizei angefangen hatte, und es sah immer noch genauso perfekt aus wie an dem Tag, als sie damit fertig geworden war: glänzende Holzfußböden und elegante Blumentapeten an den Wänden – alles einwandfrei und makellos.
»Tante Tessa?«, rief ich.
»Hier vorne, Süße!«
Ich ging um die Ecke und entdeckte meine Tante mit einem Buch auf einem antiken Sofa. Sie saß dort im Schneidersitz. Wie eine Frau Ende vierzig derart gelenkig sein konnte, um über längere Zeit so zu sitzen, entzog sich meiner Kenntnis. Aber Tante Tessa war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.
Für die meisten in der Gegend war Tessa Pazhel die etwas exzentrische und ausgesprochen unberechenbare Frau, die den Naturkostladen in der Stadt besaß. Tessa kleidete sich auch entsprechend. An einem Tag in knallbunte Röcke und Shirts in grellen Farben, die einander bissen, und am nächsten in gedämpfte Kakifarben, wozu sie Springerstiefel trug. Ihr blondes Haar stand in alle Richtungen und war das genaue Gegenteil meines schrecklich langweiligen braunen Haars. Tessa war knochendürr, während ich verbissen um jedes Pfund weniger kämpfen musste. Das Einzige, was wir gemeinsam hatten, waren unsere grauen Augen.
Ich war das Ebenbild meiner Mutter – Tessas Schwester. Zumindest hatte man mir das gesagt und auf Bildern gezeigt. Meine eigenen
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