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Vom Daemon verweht

Vom Daemon verweht

Titel: Vom Daemon verweht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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hatte ich mehr oder weniger die Welt gerettet. Da würde ich es doch locker schaffen, ein Kleid zu kaufen, auch wenn währenddessen ein Zweijähriger auf meiner Hüfte saß.
    Oder etwa nicht?
    Ich wollte nicht allzu lange über die Antwort nachdenken. Also konzentrierte ich mich darauf, Timmy das Make-up aus dem Gesicht zu entfernen und zu hoffen, dass der Geruch der Gesichtscreme seine Männlichkeit nicht für immer aus der Bahn werfen würde.
    »Lustig!«, sagte er und betrachtete sein Gesicht, das dick mit Lotion eingecremt war, im Spiegel.
    »Wahnsinnig lustig«, antwortete ich ihm, während ich hastig den größten Teil des Make-ups wegwischte. Ich gab ihm einen Waschlappen und ließ ihn helfen (wobei ›helfen‹ ein ziemlich dehnbarer Begriff ist). Als wir fertig waren, hatte ich einen duftenden kleinen Jungen mit sehr weicher Haut und bläulichen Schatten um die Augen. Seine Lippen sahen aus, als ob sie unter Sonnenbrand litten (wenn es in der Werbung heißt, dass ein Lippenstift kussfest ist, dann sollte man das wohl wirklich ernst nehmen), und ich befürchtete, dass er jeden Augenblick eine Pose wie ein Model auf der Titelseite einer Illustrierten einnehmen könnte.
    Doch da uns keine Zeit blieb, den kleinen Kerl von oben bis unten zu waschen, musste das für den Moment reichen. Ich hob ihn auf meine Hüfte und eilte die Treppe hinunter. Dabei rief ich Allie zu, dass wir jetzt gingen und sie hinter uns die Tür abschließen sollte.
    Ihre Antwort bestand aus einem Grunzen. Das war wohl das Beste, was ich unter den Umständen erwarten konnte. Zumindest bekam ich saubere Toiletten.
    Fünf Minuten später hatten wir uns von Eddie verabschiedet, Timmy saß in seinem Kindersitz im Wagen, und ich war noch einmal ins Wohnzimmer zurückgekehrt, wo ich verzweifelt nach Boo Bear suchte. Ich fand ihn unter dem Sofa und brachte ihn triumphierend in die Garage.
    Timmy, der leise vor sich hin geweint hatte, änderte sogleich seine Laune und betrachtete mich voll hingebungsvoller Bewunderung. Was konnte ich da anderes tun, als ihn anzulächeln?
    »Fertig?«, fragte ich und schnallte mich an.
    »Fertig!«, brüllte er und wedelte mit seiner kleinen Faust in der Luft herum. »Immer!«, fügte er begeistert hinzu, was unseren Ausflug in einen Klamottenladen wesentlich aufregender klingen ließ, als er tatsächlich werden würde.
    Stuart und ich haben ein gemeinsames Konto bei der First Mutual in der California Avenue. Wir haben dort auch ein Tresorfach für die Geburtsurkunden der Kinder, die notarielle Urkunde für das Haus und unsere Lebensversicherungen. Das Übliche eben. Und da ich diejenige bin, die gewöhnlich zur Bank geht und das Schließfach verwaltet, wusste ich genau, dass unser goldener Schlüssel nicht im mindesten dem kleinen silbernen ähnelte, der auf so geheimnisvolle Weise vor meiner Haustür gelandet war.
    Trotzdem beschloss ich, zuerst einmal dorthin zu fahren. Man kennt mich dort, und ich wusste auch nicht sicher, ob die goldenen Schlüssel nicht eine andere Gruppe von Schließfächern öffneten. Vielleicht besaß die Bank eine Art von Büchlein, in dem die verschiedenen Schlüssel für alle möglichen Schließfächer aufgelistet waren. Eigentlich nahm ich das zwar nicht an, aber zehn Minuten Zeit konnte ich durchaus darauf verwenden, das herauszufinden.
    Elf Minuten später war ich mir nicht mehr so sicher. Nancy, die ich in der Bank am liebsten mochte, hatte keine Ahnung, und auch die Managerin, die gerade Dienst hatte, konnte mir nicht weiterhelfen. »Ich könnte herumtelefonieren«, bot sie mir an.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich möchte Ihnen keine Umstände bereiten.« Vor allem wollte ich nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf die Angelegenheit lenken. Ich tat zwar nichts Illegales oder Ungehöriges. Aber die ganze Situation war doch ziemlich mysteriös, und man konnte nie wissen, was sich noch alles daraus ergeben würde.
    Nancy reichte Timmy einen Lutscher (mit Wassermelonen-Geschmack), und wir wandten uns zum Gehen. Mein kleiner Junge war höchst zufrieden. Ich versuchte mich währenddessen daran zu erinnern, wo es in dieser Gegend noch weitere Banken gab, als auf einmal eine mir nur allzu vertraute Stimme meinen Namen rief.
    Ich drehte mich um und ließ meinen Blick durch die Bank schweifen, bis ich Cutter entdeckte. Er erhob sich von einer Couch, die in der Nähe eines Schildes mit dem Wort ›Kredit-beantragungen‹ stand. Cutter – eigentlich Sean Tyler – ist mein Sensei. Das

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