Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
Mensch, der sich in diesem Sinne für allzu gut hält, ist nicht unegoistisch, denn wer die Triebkraft dieser Neigungen verleugnet, agiert sie zumeist unbewusst aus, etwa durch erdrückende Fürsorglichkeit, eifrige Kontrolle oder moralische Überheblichkeit. Die unreflektierte Lust, sich selbst zu opfern, übertrieben asketisch zu leben oder seine Gefühle zu unterdrücken, schränkt den Freiheitsdrang ein und führt zu unnatürlichem Verhalten. Das Ego verteidigt nicht nur seine Grenzen, sondern baut auch einen Schutzwall gegen Veränderung auf. Es bedient sich dabei auch der Abwehrfunktionen des Ich. Wenn mich beispielsweise jemand aufmerksam macht, dass ich in einem Gespräch jemanden unhöflich unterbrochen habe, kann ich daraus lernen oder aber den Fehler bei dem anderen suchen. Die Überheblichkeit kann zwar vorübergehend die Fassade aufrechterhalten, verhindert aber, dass ich mich ändere. Selbstkritik könnte das Ego-Selbstbild ins Wanken bringen und Unsicherheit auslösen. Die Angst, die Bewunderung der anderen zu verlieren, wenn ich Schwächen zeige, ist in der Gesellschaft weit verbreitet. Dazu braucht man nur die Diskussionen in der Politik zu beobachten. Aussagen werden manipuliert, und die Wahrhaftigkeit bleibt auf der Strecke. Das Ego muss immer größer werden, um noch mehr Glanz auszustrahlen oder Macht zu demonstrieren. Wahrnehmungen, die das Ego stören könnten, werden ausgesondert. Man kann immer wieder beobachten, wie sich Vorgesetzte mit Jasagern umgeben und jegliche konstruktive Kritik zurückweisen.
Ein weiteres Hindernis für eine erfolgversprechende Ego-Transformation ist die Gewohnheit. Sie vermittelt Sicherheit und verhindert Risiken. Den inneren Schweinehund zu überwinden erfordert Mut, Aufmerksamkeit und Hingabe, denn nichts Geringeres als das bestehende System steht auf dem Spiel. Die Ängste vor dem Neuen und Fremden sind zu überwinden. Bisherige Lebensabläufe, mit denen durchaus Erfolge zu verbuchen waren, und das psychische Gleichgewicht werden gestört, wenn ich mich verändere. Wir stehen also vor der großen Aufgabe, angeborene Reaktionsbereitschaften und alte Muster aufzulösen sowie innere Systeme neu zu justieren.
Das meinen spirituelle Lehrer, wenn sie uns anregen, Meisterschaft über unsere Gefühle und Gedanken zu erlangen. Wenn wir die Energien, die in diesen Gewohnheiten gebunden sind, bewusst umpolen, erweitern wir unsere Freiheitsgrade und werden zum Wohle des Ganzen wirksam. Die Antriebe und Affekte werden keinesfalls außer Kraft gesetzt, sondern nur in die richtigen Bahnen gelenkt. Wenn man einem anderen Menschen gegenüber Wut empfindet, dann sollte dieses Gefühl zunächst aufkommen dürfen, um herauszufinden, was es mir zeigt. Ich könnte neidisch sein, mich gekränkt fühlen oder Angst abwehren. Wenn mir das bewusst wird, kann sich die Wut in Kraft verwandeln, um meine eigenen Ziele zu verfolgen, oder in die Bereitschaft, mit dem anderen einen Konflikt auszutragen oder mir Hilfe zu holen. So wird aus Missgunst eigene Bemühung und aus Abgrenzung Kooperation. Etwas, das in Unordnung geraten ist, kann so wieder in die Balance kommen. Aus Enge kann dann Weitung entstehen, und aus Feindseligkeit kann Frieden werden. Wenn die Energiebewegungen transformiert werden, dient das nicht nur dem Eigennutz, sondern auch der Evolution. Der Mensch kann über sich selbst hinauswachsen – das ist eine anthropologische Tatsache. Er sollte sein biologisches Erbe nicht nur verwalten, sondern es investieren, um sich zu erneuern. Wenn wir uns bewusstmachen, dass Instinkte, die das Ego stärken wollen, keine Feinde der spirituellen Entwicklung sind, sondern früh erworbene automatisierte Reaktionsmuster, die auf Sicherheit, Autonomie, Sexualität und Macht abzielen, dann fällt es uns vielleicht leichter, innezuhalten und die impliziten Motive zu sehen. Der starke Wille kann dann aus dem entstehenden Freiraum alternative Strategien kreieren.
Veränderung von Ego-Komplexen
Um Ego-Komplexe hinreichend zu klären und verändern zu können, muss man sich dafür entscheiden und in den Prozess einwilligen. Nur wenn man geduldig und achtsam mit sich umgeht, kann man überhaupt erst Einsicht in die destruktiven Mechanismen erlangen, die größtenteils automatisch und unbewusst ablaufen.
Dann ist zu prüfen, ob gravierende psychische Verletzungen zugrunde liegen, die erst psychotherapeutisch vorbehandelt werden müssen. Dies hätte den Vorteil, dass man die dahinterstehende Kraft
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