Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
Augen verloren, und die innere Stimme wird überhört, bis die Entwicklung stagniert oder ganz aus der Bahn gerät.
So suchte sich eine junge und attraktive Frau ihre Partner nach Rang und Ansehen aus, missachtete dabei Sympathiewerte, gemeinsame Interessen und Ebenbürtigkeit. Das führte zu mehreren unheilvollen Beziehungen. Erst als sie bemerkte, dass eine unbewusste Existenzangst dieses Dilemma mit verursachte, konnte sie loslassen und fand ihr Glück in einer ausgewogenen Beziehung.
Eine ernsthafte Selbstkonfrontation, in der Beweggründe, Motive und Triebfedern des Handelns freigelegt werden, kann nur dann konstruktiv umgesetzt werden, wenn sie achtsam und liebevoll verläuft. Vorwürfe, Selbstbezichtigungen, Ungeduld oder Härte festigen nur das Ego, anstatt es aufzulösen. Indes sind Mitgefühl und Verantwortlichkeit, die Wirkungen meines destruktiven Handelns betreffend, äußerst effektvoll.
Realistische Zielsetzungen, die die Natur und Prägungsgeschichte des Menschen stets im Auge haben, verhindern die Bildung eines spirituellen Über-Ich, das gnadenlosen Druck ausübt. Strukturelle und nachhaltige Ego-Transformation gebietet ein eher sanftes und bedächtiges Vorgehen, da mit der Entscheidung für einen spirituellen Weg schon grundsätzlich bisherige Lebensmuster in Frage gestellt sind. Ego-Aspekte sind nicht immer für Außenstehende sichtbar. Auch wenn keine sozialen Verstrickungen entstehen, bedarf es der Transformation, wenn man auf dem spirituellen Wege vorankommen möchte. Am Ende sollen Kontemplationsübungen die konkrete Auseinandersetzung mit den Ego-Komplexen fördern.
Ein weitverbreitetes und verpöntes Gefühl ist der Neid. In der ursprünglichen Wortbedeutung »abgünstig« sind schon Missgunst, Groll und Schadenfreude mit enthalten. Wer Neid empfindet, verschließt das Herz, steht unter Spannung, fühlt sich flau und leer. Der innere Erlebnisraum zieht sich zusammen, und die Wahrnehmung verengt sich auf den Vergleich mit anderen, bei dem man schlechter abschneidet. Die daraus hervorgehende Selbstwertkrise löst Unbehagen, Groll oder Schmerz aus. Der Neid kann sich auf materielle Güter, Ansehen, Fähigkeiten oder Beziehungen richten. Wenn die Wünsche nicht aufgegeben werden können, kann das unerfüllte Verlangen den Leidensdruck noch erhöhen, weil das Objekt der Begierde idealisiert und die eigenen Möglichkeiten entwertet werden. Der Neid mündet dann in der Gier, die hemmungslos und blind ausschließlich dem Verlangen folgt.
Der Neid kann auch anspornen, weil er aufzeigt, was wir in unserem Leben versäumt oder an Potenzialen nicht entfaltet haben. Wenn man sich damit beschäftigt, wäre das eine Chance, auszusteigen. Ansonsten weitet sich Neid zu Missgunst und Schadenfreude aus. Erst wenn der andere leidet, Fehler macht, krank wird oder seinen Besitz verliert, erlebe ich ausgleichende Genugtuung. Dann lässt der Schmerz nach, die innere Spannung baut sich ab, und der Selbstwert wächst wieder. Mein eigenes Defiziterleben wird so an den Beneideten delegiert.
Das Grundstück des Nachbarn ist etwas größer und schöner gelegen. Der Blick geht immer dorthin, und die Freude über das eigene Haus schwindet von Tag zu Tag. Dann wird der Nachbar angezeigt, weil sein Bretterzaun nicht exakt der vorgegebenen Norm für dieses Gebiet entspricht. Dieser schwelende Konflikt zieht sich über Jahre. Hasserfüllte Fantasien, wie der andere zu Schaden kommen könnte, bestimmen die Vorstellungswelt.
In der Eifersucht werden regressive Reaktionsmuster mobilisiert, die frühe Verlust- und Mangelerfahrungen betreffen. Dabei erscheint die innere Sicherheit, vielleicht sogar das Überleben, bedroht. Diese Vernichtungsängste entfachen Hass- oder Ohnmachtsgefühle.
Der Neidkomplex manifestiert sich nicht nur durch Distanzierung in der expliziten Kommunikation. Unter Umständen werden dem Beneideten sogar in übersteigerter Manier Demut und Ehrfurcht gezollt, obwohl der innere Konflikt den Hals einschnürt.
Neid beruht auf fehlender Selbstachtung, dem Gefühl der Getrenntheit und der übersteigerten Vorstellung, dass in der Wunscherfüllung Zufriedenheit zu finden sei. Sein essenzielles Bedürfnis ist die Suche nach dem Absoluten, nach dauerhaftem Glück und Selbstverwirklichung. Wenn wir es jedoch nicht im Äußeren, sondern im Inneren suchen und das Verbindende zwischen den Menschen bemerken, können wir diesen Ego-Aspekt transformieren und Zugang zu unserer Wesensnatur finden.
1. Bitte nehmen Sie
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