Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
Wachstumsimpulse zurück. Gefangen im ausweglosen Teufelskreis von Minderwertigkeitsempfinden und Schamgefühlen, werden Barrieren gegen aufkommende Wachstumsimpulse errichtet.
Ein begnadeter Klavierspieler kam von einem äußerst erfolgreichen Konzert nach Hause. Als er in Gedanken nochmals seinen Auftritt analysierte, sah er in seiner Erinnerung eine Frau, die in der ersten Reihe saß, wie sie vorzeitig den Saal verließ. Dann fiel ihm ein, wie er in einer kurzen Passage eines Stückes zu kräftig in die Tasten griff. Nun begann er, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln, fixierte sich immer mehr auf diese Sequenz und verdrängte die positiven Resonanzen vollständig aus seinem Bewusstsein. Er konnte nicht schlafen, stellte seinen Beruf grundsätzlich in Frage und fühlte sich wie gelähmt. Er übte nicht mehr, schämte sich für seinen Zustand und sagte das nächste Konzert wegen eines familiären Termins ab.
Weil das Zutrauen in die inneren Kräfte schwindet, fällt es schwerer, Verantwortung für das Leben zu übernehmen.
Wenn dieser Ego-Komplex mobilisiert ist, legt man großen Wert darauf, die Fassade aufrechtzuerhalten. Durch ein oberflächliches Funktionieren soll verhindert werden, dass die gefühlte Hilflosigkeit von anderen bemerkt wird. Solche Menschen werden allzu oft ausgenützt, weil sie auf externe Anerkennung angewiesen sind. Sie geben alles, um andere Menschen zufriedenzustellen, aus dem Gefühl heraus, aus eigener Kraft nichts bewirken zu können. Eigene Leistungen werden so lange kleingeredet oder penibler Kritik ausgesetzt, bis am Ende misslungen scheint, was zunächst erfolgreich war. Die aus dieser konstruierten Minusbilanz entspringenden Schuldgefühle verschlimmern die Selbstentwertungsdynamik. Wenn diese in Selbsthass übergeht, bestehen große Gefahren, Suchtmittel zur Entspannung einzusetzen. Die Selbsterniedrigung würde sich dann zu einem Selbstzerstörungsprozess zuspitzen. Da das Ego eine Grenze gegen die innewohnenden Kräfte, Fähigkeiten und Ressourcen zieht, wird die Welt um meine konstruktive Teilhabe an der Evolution betrogen. Spirituell gesehen ist es uns aufgegeben, verfügbare Potenziale zu verwirklichen und in das Ganze einzubringen.
Das essenzielle Bedürfnis ist die Anerkennung des individuellen schöpferischen Impulses, der aus der Totalität des All-Einen hervorgeht. Die Transformation dieses Ego-Aspektes beruht auf Selbstachtung, dem Vertrauen in die schöpferische Kraft und der Erweiterung des Selbstverständnisses auf das Ganze.
Lassen Sie nun folgende Fragen auf sich wirken
1. In welchen Situationen stelle ich mein Licht unter den Scheffel? Wie werte ich mich selbst ab? Welche Fähigkeiten lasse ich verkümmern?
2. Jetzt bitte ich Sie, etwas tiefer zu atmen. Beugen Sie sich in Ihrer Vorstellung mitfühlend über das innere Wesen, das sich erniedrigt fühlt.
3. Ein warmer Strom von Liebe kann dabei aus Ihrem Herzen fließen und Sie einhüllen. Gleichzeitig erlauben Sie sich, leise zu sagen: Ich vertraue der Kraft in mir. Dann stellen Sie sich vor, welche Auswirkungen es hätte, wenn Sie Ihre Fähigkeiten verwirklichen würden.
Nun möchte ich auf den Ego-Komplex der Missachtung der Würde anderer Menschen eingehen. Hier können wir zwischen einer aktiven Demütigung, durch hasserfüllte oder verachtende Handlungen, und einer eher indirekten, wie ignorante, überhebliche oder arrogante Verhaltensweisen, unterscheiden.
Wenn Hass und Verachtung andere Menschen trifft, können schwere Defekte entstehen. Es ist eine bewusst gesteuerte destruktive Energie. Zerstörerische Impulse werden häufig dann frei, wenn früher erlittene Verletzungen ausgeglichen werden sollen oder Neid und Missgunst die Ursachen sind. Genugtuung tritt erst dann ein, wenn der andere leidet oder sich schwach fühlt. Doch dies ist natürlich keine wirkliche Lösung, sondern führt im Gegenteil für alle Beteiligten vermehrt ins Unheil – sogar dann, wenn wir nicht explizit handeln und »nur« in der Fantasie agieren. Die Energie negativer Gedanken wirkt belastend und beunruhigend. Wenn mehrere Menschen daran beteiligt sind, wie etwa in Gruppen, kann dieser Zustand eskalieren und zu extremen Situationen führen, wie nachfolgendes Beispiel aufzeigt.
Ein Angehöriger einer Gruppe schrieb an alle Mitglieder einen Brief, in dem er um Unterstützung für ein Hilfsprojekt warb. Ein anderer, der schon länger gegen den Briefschreiber Ressentiments hegte, wurde wütend, weil er von ihm ein
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