Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
Bewusstseinszuständen erleben konnten. Wer sich noch intensiver mit diesen Erfahrungsebenen auseinandersetzen möchte, findet in den Werken von Stanislav Grof (vgl. 1985), insbesondere in Geburt, Tod und Transzendenz, oder in meinem Buch Dimensionen der menschlichen Seele noch ausführlichere Beschreibungen.
Phase des Säuglings und Kleinkindes
Das Selbst des Säuglings steht nun vor einer großen Herausforderung. Der intrauterine Schutzraum mit seinen homöostatischen Regulationen sorgt nicht mehr automatisch für Sicherheit, Wärme und Nahrung. Obwohl die Entwicklung weiter gediehen ist, nehmen vorübergehend die Abhängigkeit und Verletzlichkeit zu. Dies ist nicht besonders erstaunlich, denn immer dann, wenn ein wichtiger Schritt bevorsteht, durchlaufen wir labile Phasen mit erhöhter Irritierbarkeit. Die Natur sorgt nicht mehr im vorher gekannten Ausmaß für die Befriedigung der Bedürfnisse, sondern das Baby ist auf den Willen und die empathischen Fähigkeiten der wichtigsten Bezugspersonen angewiesen.
Informationsverarbeitende Prozesse befähigen den Säugling, sich als jemand im Raum wahrzunehmen. In diesen Konturen kann aber nur dann ein sicherer »Selbstboden« errichtet werden, wenn die Bezugspersonen verlässlich und präsent sind. Das ist die Grundlage, auf der später angstfrei Bindungen eingegangen und Loslösungen vollzogen werden können. So bleibt es für das Selbsterleben nicht folgenlos, ob nun die Mutter auf das Schreien des Säuglings empfindsam antwortet, ihn aufnimmt und beruhigt oder betrunken vor dem Fernseher sitzt, sich gestört fühlt und dementsprechend ungehalten reagiert. Wenn dies des Öfteren passiert, beginnt das Baby zu resignieren und zu verstummen.
Frühe Erlebnisse von drastischer Gewalt können in diesem wehrlosen Stadium nur bewältigt werden, wenn der Säugling seine Empfindungen durch Kontraktionen neutralisiert, um das Schmerzgefühl zu reduzieren. Das ursprünglich sich ausdehnende Neugierverhalten muss zurückgezogen und der lebendige Kreislauf von Spüren und Reagieren blockiert werden, um die inneren Kerne vor überfordernden Reizen, wie in folgendem Beispiel, zu schützen: »… Ich sah meinen Vater, wie er sich über mich bückte, der ich als etwa Zweijähriger schlafend in meinem Bettchen lag, und mich wach prügelte …«
Seelische und körperliche Grausamkeiten in frühester Kindheit hinterlassen schwerwiegende Belastungen, die nur heilen können, wenn verdrängte Affekte, wie Wut oder Schmerz, in einem geschützten Rahmen ausgedrückt und integriert werden. Das aufkeimende Selbst baut zwangsläufig dieses Bedrohungspotenzial in seine Struktur mit ein, so dass ungünstige Selbst- und Fremdbilder fatalistische Lebenseinstellungen heraufbeschwören. So festigen sich Überzeugungen wie: »Ich bin nichts wert«, »Die anderen sind immer nur böse auf mich«, »Ich darf meine Bedürfnisse nicht äußern« oder »Ich bin ohnmächtig«. Eine wesentliche Aufgabe des Selbst, ein Bild von sich zu gewinnen, in dem das eigene Dasein naturgemäß als wert- und sinnvoll erlebt wird, ist damit zunichtegemacht. Das untergräbt die Bildung eines Persönlichkeitszentrums, aus dem heraus kraftvoll agiert werden kann. Das entfremdete oder verformte Selbst, das durch Gewalt, Verwahrlosung und Gefügigkeit entstanden ist, wirkt unlebendig und fassadenhaft. Es verursacht in sozialen Situationen häufig Missverständnisse, da die dunkle Brille, die sich durch die früheren Lebensereignisse gebildet hat, zu erheblichen Fehldeutungen der inneren und äußeren Wirklichkeit führen kann.
Nur durch liebevolle Blicke, aufmerksame Zuwendung oder sicherheitsspendende Gesten lernt der Säugling, sich selbst und die Welt neugierig zu erforschen, auf Anregungen zu antworten und auch Probleme zu bewältigen. Die Empfindungsfähigkeit und Reagibilität wächst weiter, so dass absichtsvoll interagiert werden kann. Locker zusammengesetzte Selbst-Aspekte verschmelzen allmählich immer mehr zu einem ganzheitlichen Selbstgefühl.
Aus dem unscharfen Selbst und den bisher eher durchlässigen Grenzen wird nun mit zunehmender Dauer ein Wesen, das schon bemerkt, dass es seine Umgebung beeinflussen kann. Waren früher vor allem Lust oder Schmerz prägnant, verfeinert sich die Textur der Emotionen zunehmend: Freude, Traurigkeit, Wut, Langeweile oder Angst werden wahrgenommen.
Die Mutter ist auch nicht mehr ausschließlich darauf bedacht, die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen, sondern enttäuscht
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