Vom Ende einer Geschichte
besser sein als meine. Und wenn ihre Bestätigung nun nicht hilfreich wäre, sondern im Gegenteil? Weißt du, Tony, nach so langer Zeit kann es wohl nicht schaden, wenn wir die Wahrheit sagen, aber Adrian hat sich hinter deinem Rücken immer sehr abfällig über dich geäußert. Ach, wie interessant. Ja, das ist uns beiden aufgefallen. Er hat gesagt, du seist weder so nett noch so intelligent, wie du dir vorkamst. Aha; sonst noch was? Ja, er hat gesagt, es sei absurd und unbegreiflich, wie deutlich du zu erkennen gegeben hast, dass du dich für seinen engsten Freund – jedenfalls enger als wir beide – gehalten hast. Okay, ist das alles? Noch nicht ganz: Es war offensichtlich, dass diese Wie-heißt-sie-noch dich nur hingehalten hat, bis sie etwas Besseres finden würde. Hast du nicht gemerkt, wie sie damals, als wir alle uns kennenlernten, gleich mit Adrian geflirtet hat? Wir beide waren ziemlich schockiert darüber. Sie hatte ja praktisch die Zunge in seinem Ohr.
Nein, sie würden mir keine Hilfe sein. Und Mrs Ford war tot. Und Bruder Jack war von der Bildfläche verschwunden. Die einzig mögliche Zeugin, die einzige, die mir Bestätigung geben konnte, war Veronica.
Ich hab gesagt, ich wollte ihr auf die Nerven gehen, nicht wahr? Ich wollte erreichen, dass es ihr »unter die Haut ging«, wie es so schön heißt. Das ist ein merkwürdiger Ausdruck, bei dem ich immer daran denken muss, wie Margaret ein Brathähnchen zubereitete. Sie hob behutsam die Haut an der Brust und den Keulen ab und schob Butter und Kräuter darunter. Estragon wahrscheinlich. Vielleicht auch etwas Knoblauch, so genau weiß ich das nicht. Ich selbst habe das nie versucht, damals nicht und später auch nicht; meine Hände sind zu ungeschickt, und ich glaube, sie würden die Haut zerreißen.
Margaret hat mir erzählt, dass es auch eine französische Methode gibt, die noch raffinierter ist. Die stecken Scheiben von schwarzen Trüffeln unter die Haut – und weißt du, wie sie das nennen? Hähnchen in Halbtrauer. Vermutlich stammt das Rezept aus der Zeit, als die Leuteein paar Monate lang nur Schwarz trugen, dann ein paar Monate lang Grau und nur allmählich zu den Farben des Lebens zurückkehrten. Voll-, Halb-, Vierteltrauer. Ich weiß nicht, ob man das wirklich so nannte, aber ich weiß, dass die Farbtöne der Kleidung genau festgelegt waren. Wie lange trägt man heute Trauer? Meistens einen halben Tag – gerade lange genug für die Beerdigung oder Einäscherung und den anschließenden Umtrunk.
Entschuldigung, das führt etwas vom Thema ab. Ich wollte erreichen, dass es ihr unter die Haut ging, hab ich gesagt, nicht wahr? Hab ich das so gemeint, wie ich es mir dachte, oder habe ich etwas anderes gemeint? Wenn ich an den alten Song »I’ve Got You Under My Skin« denke – das ist doch ein Liebeslied, oder nicht?
Ich will Margaret überhaupt keinen Vorwurf machen. Nicht im Geringsten. Aber, um es einfach auszudrücken, wenn ich auf mich selbst gestellt war, wen hatte ich dann? Ich zögerte ein paar Tage, ehe ich Veronica eine neue Mail schickte. Darin erkundigte ich mich nach ihren Eltern. Lebte ihr Vater noch? Hatte ihre Mutter ein sanftes Ende gefunden? Dann schrieb ich noch, ich hätte ihre Eltern zwar nur einmal getroffen, hätte sie aber in guter Erinnerung. Na ja, das war zu fünfzig Prozent wahr. Eigentlich wusste ich nicht recht, warum ich diese Fragen stellte. Vermutlich wollte ich etwas Normales tun oder zumindest so tun, als wäre etwas normal, auch wenn es das nicht war. Wenn man jung ist – als ich jung war –, will man, dass die eigenen Empfindungen so sind wie die, von denen man in Büchern liest. Man will, dass sie das ganze Leben umkrempeln, dass sie eine neue Realität schaffen und bestimmen. Später will man, glaube ich, dass sie etwas Sanfteres tun, etwas Praktischeres: Siesollen das Leben unterstützen, so wie es ist und geworden ist. Sie sollen dir sagen, dass alles in Ordnung ist. Und ist das etwa verkehrt?
Veronicas Antwort war eine Überraschung und eine Erleichterung für mich. Sie fand meine Fragen nicht unverschämt. Sie schien sich beinahe zu freuen, dass ich gefragt hatte. Ihr Vater war seit über fünfunddreißig Jahren tot. Er hatte immer schlimmer getrunken, und die Folge war Speiseröhrenkrebs. Da musste ich kurz innehalten und schämte mich, dass meine ersten Worte zu Veronica auf der Wackelbrücke eine schnodderige Bemerkung über glatzköpfige Alkoholiker gewesen waren.
Nach seinem Tod hatte ihre
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