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Vom Ende einer Geschichte

Vom Ende einer Geschichte

Titel: Vom Ende einer Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes , Pößneck GGP Media GmbH
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für den Fall, dass ich etwas getan haben sollte, was einem erfreulichen Verlauf der vorherigen Begegnung im Wege stand. Ich versprach, nicht über das Testament ihrer Mutter reden zu wollen. Das stimmte sogar; auch wenn ich erst beim Schreiben dieses Satzes merkte, dass ich schon seit ein paar Tagen kaum noch an Adrian und sein Tagebuch gedacht hatte.
    »Soll sich da der Kreis schließen?«, war ihre Antwort.
    »Ich weiß nicht«, schrieb ich zurück. »Aber es kann ja nicht schaden, oder?«
    Auf diese Frage antwortete sie nicht, was mir damals aber nicht auffiel und mich auch nicht störte.
    Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie dachte ich, sie würde wieder diese Brücke als Treffpunkt vorschlagen. Entweder die Brücke oder irgendeine gemütliche und verheißungsvoll persönliche Umgebung: eine vergessene Kneipe, eine ruhige Imbissstube oder sogar die Bar im Charing Cross Hotel. Sie entschied sich für die Cafeteria im dritten Stock eines großen Warenhauses an der Oxford Street.
    Das kam mir sogar ganz gelegen: Ich brauchte ein paar Meter Schnur, um eine Jalousie zu reparieren, ein Entkalkungsmittel für den Wasserkessel und ein Sortiment dieser Flicken, die man innen in die Hose bügelt, wenn sie am Knie aufreißt. In der Nachbarschaft findet man solche Sachen ja kaum noch: Wo ich wohne, sind aus diesen nützlichen kleinen Läden längst Cafés oder Maklerbüros geworden.
    Im Zug nach London saß mir ein Mädchen gegenüber, das Kopfhörer aufgesetzt und die Augen geschlossen hatte, blind und taub gegen die Welt um sie herum, und ihr Kopf bewegte sich zu Musik, die nur sie allein hören konnte. Und plötzlich war eine vollständige Erinnerung wieder da: wie Veronica tanzte. Ja, sie tanzte nicht – dashab ich selbst gesagt –, aber eines Abends war sie in meinem Zimmer übermütig geworden und hatte meine Popplatten hervorgekramt.
    »Leg eine auf und lass mich zusehen, wie du tanzt«, sagte sie.
    Ich schüttelte den Kopf. »Dazu gehören zwei.«
    »Na gut, du zeigst es mir und dann mach ich mit.«
    Also legte ich einen Stapel 45er-Scheiben auf den Plattenwechsler, bewegte mich auf Veronica zu, ließ zur Lockerung der Knochen die Schultern kreisen, schloss halb die Augen, als wollte ich Veronicas Privatsphäre respektieren, und legte los. Klassisches männliches Imponiergehabe der damaligen Zeit, entschlossen individualistisch, in Wirklichkeit aber der strikten Nachahmung herrschender Normen unterworfen: hüpfen und mit dem Kopf wackeln, die Schultern verdrehen und die Hüfte vorstoßen und als Zugabe ekstatisch erhobene Arme und vereinzelte Grunzgeräusche. Nach einer Weile öffnete ich die Augen in der Erwartung, Veronica immer noch auf dem Fußboden sitzen und über mich lachen zu sehen. Doch da sprang sie schon so herum, dass ich fast glaubte, sie habe Ballettunterricht gehabt, die Haare hingen ihr ins Gesicht und die Waden waren straff und gespannt. Ich sah ihr einen Moment zu und wusste nicht recht, ob sie mich verulken wollte oder echt auf Moody Blues abgefahren war. Im Grunde war es mir egal – ich hatte meinen Spaß und das Gefühl eines kleinen Sieges. Das ging eine Zeit lang so weiter; dann arbeitete ich mich näher an sie heran, während Ned Millers »From a Jack to a King« in »Elusive Butterfly« von Bob Lind überging. Aber sie merkte nichts davon und stieß beim Herumwirbeln mit mir zusammen, sodass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte. Ich fing sie auf und hielt sie fest.

    »Siehst du, es ist gar nicht so schwer.«
    »Ach, ich hab nie geglaubt, dass es schwer wäre«, erwiderte sie. »Gut. Ja. Dankeschön«, sagte sie förmlich, dann setzte sie sich hin. »Du kannst weitermachen, wenn du willst. Ich hab genug.«
    Immerhin, sie hatte getanzt.
    Ich erledigte meine Besorgungen in den Abteilungen für Kurzwaren, Küchengeräte und Gardinen und ging dann in die Cafeteria. Ich kam zehn Minuten zu früh, aber Veronica war natürlich bereits da und las mit gesenktem Kopf in der festen Überzeugung, ich würde sie schon finden. Als ich meine Tüten abstellte, schaute sie auf und schenkte mir ein halbes Lächeln. Ich dachte: Du siehst doch nicht so verwildert und abgerissen aus.
    »Ich hab immer noch eine Glatze«, sagte ich.
    Sie blieb bei einem Viertel-Lächeln.
    »Was liest du denn da?«
    Sie drehte mir den Umschlag ihres Taschenbuchs zu. Irgendwas von Stefan Zweig.
    »Du hast also endlich das ganze Alphabet durch. Nach dem kann wohl keiner mehr kommen.« Warum war ich plötzlich nervös? Ich

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