Vom Finden der Liebe und anderen Dingen (German Edition)
in ihrem Beisein benahm, aber es war schwer zu sagen, mit wem ich ihn vergleichen sollte, weil ich nicht gerade oft mit einem Bruder und einer Schwester zusammen gewesen war. Allerdings fiel mir auf, dass er sie wegen der Temperatur des Tees und so aufzog, und als er uns mit seiner Teetasse zuprostete, lächelte er nicht. Und als ich Julia vor ihm an der Hand nahm und sie küsste, war mir, als zuckte er kurz zusammen, aber soweit ich weiß, würde das jeder Bruder in so einer Situation tun.
Ich wusste nicht recht, worauf ich wartete, doch als es dann kam, wusste ich es. Nach dem Leseunterricht stiegen wir in Houstons Auto und fuhren zu den Basketballplätzen. Während der Fahrt fragte er mich, ob ich ihn am nächsten Tag zum Zahnarzt fahren könne, weil sein Zahn wieder Ärger mache.
»Die werden bohren«, sagte er. »Also, Joe, das weiß keiner von mir, aber ich habe eine kleine Phobie, wenn Leute in meinem Kopf rumbohren. Dann drehe ich durch. Das ist mir schon ziemlich peinlich, also erzähl’s bitte nicht den Mädchen, ja?«
»Warum ist das peinlich?«
»Es erscheint mir schwach. Als Mann sollte man das aushalten können. Angenommen, ich müsste mir eines Tages selbst mal einen Zahn ziehen?«
»Warum solltest du das tun?«
»Wenn ich auf einer einsamen Insel hocke? Egal, es ist mir einfach unmöglich, dazusitzen und wie ein Idiot zu blinzeln, und ein Kerl, den ich kaum kenne, ruiniert mir das Innere meines Kopfes. Daher lasse ich mir immer eine Betäubungsspritze geben, wenn sie da drin richtig was tun. Danach bin ich groggy, und deshalb brauche ich jemanden, der mich nach Hause fährt, wenn’s dir nichts ausmacht.«
»Was ist es denn für ein Wagen?«
»Der hier.«
»Hat der Automatik?«
»Na klar.«
»Kein Problem«, sagte ich. »Mit so einem Wagen fahre ich.«
An dem Nachmittag spielten wir ewig. Im Park gab’s keine Beleuchtung, und als es dunkel wurde, stellten wir alle unsere Autos so hin, dass sie auf den Platz zeigten, und machten die Scheinwerfer an. Houston und ich spielten in einer Mannschaft. Ich hätte wirklich gedacht, dass es anders sein würde, wo ich doch jetzt wusste, dass er meinen Bruder umgebracht hatte und wir beide dasselbe Mädchen liebten. Aber es hat genauso viel Spaß gemacht wie sonst, und wir gewannen alle unsere Spiele genauso locker wie sonst. Überhaupt glaube ich, dass wir in der ganzen Zeit, die wir zusammenspielten, kein Spiel verloren haben.
Wenn ich an Houston denke, stelle ich ihn mir so vor, wie wir an jenem Abend in den weißen und gelben Fernlichtern Basketball spielten. Er wirbelt in die Gasse, von Verteidigern umgeben. Er strahlt übers ganze Gesicht, und seine Augen sind weit aufgerissen. Er sieht nicht zu mir her, aber er weiß sowieso genau, wo ich stehe. Und ich weiß, dass der Ball jeden Moment zu mir kommt, also mache ich mich zum Werfen bereit.
Am nächsten Tag holte Houston mich früh ab und sagte, ich solle mich ans Steuer setzen, damit ich mich an seinen Wagen gewöhnte. Seit unserer Fahrt von Los Angeles hierher war ich nicht mehr gefahren, aber Houstons Wagen erwies sich als praktisch genau wie der von Alvin. Ich schaffte es sicher in die Stadt, ohne mich ablenken zu lassen, und parkte ihn sogar noch mit nur zwei Versuchen auf einem ziemlich kniffligen Platz ein.
Beim Zahnarzt gab es ein winziges Wartezimmer, in dem es zum Ansehen nichts als die übelsten Zähne gab, die man je gesehen hatte. Das halbe Zimmer wurde von einem riesigen Aquarium eingenommen, sodass kaum noch Platz zum Sitzen war. Die Sprechstundenhilfen saßen beide hinter einer großen Glasscheibe. Ich weiß noch, dass Houston sauer auf sie war, weil er eine halbe Stunde warten musste, und wie er sich bücken musste, um sich durch die kleinen Löcher in der Scheibe zu beschweren.
Endlich kam der Zahnarzt und holte ihn ab. Es gab ein paar Ausgaben von
Sports Illustrated,
die ich gleich erkannte, weil sie überall in Marcus’ Wohnung rumlagen. Ich hatte mich immer gefragt, was Marcus an diesen Zeitschriften fand, aber jetzt war ich zu nervös, um darin lesen zu können. Also schaute ich mir einfach bloß die Fotos an, bis ich sah, wie der Zahnarzt zu den Helferinnen kam und telefonierte. Da stand ich auf, lief schnell durch den Flur und probierte zwei, drei leere Zimmer, bis ich das mit Houston darin fand.
Es war genau wie das Behandlungszimmer, in das Marcus mich in Los Angeles immer geschickt hatte, mit dem gleichen Behandlungsstuhl und dem kleinen Spuckbecher. Houston
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