Vom Geist der Dorsai
dieser Hinsicht mit dir, Tim?“ fragte Amanda den Jungen. Tim zögerte.
„Er kriegt immer Angst“, krähte eine sehr junge Stimme.
„Nein, das stimmt nicht!“ Lexy wandte sich der Gruppe zu. „Er ist nur vorsichtig, das ist alles.“
„Nein“, meldete sich Tim unerwartet zu Wort. „Ich kriege tatsächlich Angst. Aber wenn Lexy dabei ist, kann ich alles schaffen, was Sie uns auftragen.“
Er sah Amanda offen an.
Und Amanda sah zu Ramon.
„Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Lexy ist gut, und Tim ist ebenfalls nicht schlecht – und ihre Zusammenarbeit klappt ausgezeichnet.“
Plötzlich blickte er Amanda durchdringend an.
„Müssen Sie denn unbedingt jemanden aus einer Gruppe dafür einsetzen?“
„Wer käme sonst noch in Frage?“
„Nun, einer von den Älteren …“ Seine Stimme verklang mitten im Satz. Amanda wandte sich wieder den Gesichtern zu, die sie umringten.
„Gruppe?“ fragte sie.
Einen Augenblick lang herrschte ein fast unangenehmes Schweigen, dann antwortete das Mädchen, das gepfiffen hatte: Leah Abo – der Name fiel Amanda ganz unvermittelt wieder ein.
„Jeder von uns würde gehen“, sagte sie. „Aber Lexy ist die beste.“
„Dann wäre das also geklärt“, erwiderte Amanda. Sie schaltete den Motor des Gleiters ein und hob damit vom Boden ab. „Lexy, Tim … ich treffe euch heute kurz nach Sonnenuntergang unmittelbar hinter der nächsten Erhebung der Hangwiese nördlich der Stadt. Seid vorsichtig – ihr alle. Achtet darauf, daß euch die Patrouillen nicht entdecken. Und schickt so schnell wie möglich die Kuriere auf den Weg.“
Sie setzte den Gleiter in Bewegung; der Kreis teilte sich, und sie summte empor und über den Grat hinweg. Ein paar hundert Meter voraus lag Foralie-Heimstatt auf einer kleinen, ebenen Hügelkuppe, von der aus man eine klare Sicht in alle Richtungen hatte, bis hin zur Stadt selbst.
Hinter dem langen, niedrigen, gezimmerten Haus dort unten erkannte sie die überdimensionale Abstraktturnhalle, die Cletus bei Grahame-Haus hatte erbauen lassen und die dann, nach seiner Heirat mit Melissa, hierher transportiert worden war. Sie hatte für ihn ein Hilfsmittel dargestellt, sich nach seiner Knieoperation wieder physisch zu erholen, und es gab keinen Grund, warum dieses Gebäude eine besondere Empfindung in Amanda auslösen sollte. Doch als sie nun seine spinnenartige und ineinander verschlungene Architektur erblickte, die ihren Schatten warf auf das Dach des langen, makellos gezimmerten Hauses daneben, spürte sie plötzlich – fast so deutlich, als berührte sie das kühle Metall mit der Hand – die harten, auf ebenso komplexe Weise ineinander verwobenen Realitäten … jene Wirklichkeiten mit der letztendlichen Konsequenz, daß sich Dow und Cletus dort im Schatten zum letzten und entscheidenden Mal begegneten.
Sie lenkte den Gleiter zum Haus hinunter. Melissa trat aus dem Fronteingang, begleitet von einer hochgewachsenen Gestalt mit grauem Schnurrbart: Eachan Khan. Sie blieben stehen und sahen ihr entgegen, als sie den Gleiter an sie heransteuerte und dann zu Boden sinken ließ.
„Betta geht es gut, Amanda“, sagte Melissa. „Sie ist noch nicht niedergekommen. Was ist los?“
„Die Besatzungstruppen sind in Foraliestadt.“
„Wir sind auf dem laufenden“, entgegnete Eachan Khan in seiner kurzen, knappen, von britischem Akzent untermalten Ausdrucksweise. „Haben die Landung mittels des Fernabtasters auf dem Dach beobachtet.“
„Dow deCastries ist bei ihnen“, sagte Amanda und stieg von dem Gleiter herunter. „Er hat es natürlich auf Cletus abgesehen. Und er will unverzüglich hierher nach Foralie-Heimstatt kommen. Er könnte jeden Augenblick hier eintreffen …“
Plötzlich schien ihr der Boden unter den Füßen entgegenzuspringen. Eachan Khan trat rasch an ihre Seite und hielt sie fest.
„Amanda!“ brachte Melissa hervor und stützte sie auf der anderen Seite. „Wann hast du zum letztenmal etwas gegessen?“
„Ich weiß ni …“ Sie mußte feststellen, daß ihr die Formulierung dieser Worte schwerfiel. Ihre Knie zitterten, und sie wurde beinah ohnmächtig. Verschwommener Zorn keimte in ihr empor. Dies war der Aspekt ihres Alters, den sie am meisten verabscheute. Gestärkt und ausgeruht konnte sie es mit einem deCastries aufnehmen, ihn gar einschüchtern. War sie jedoch aufgrund ungewöhnlicher Umstände zu lange daran gehindert, etwas zu sich zu nehmen und auszuruhen, dann
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