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Vom Geist der Dorsai

Vom Geist der Dorsai

Titel: Vom Geist der Dorsai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon R. Dickson
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ihrer alten Daunenjacke verspürte, die sie sich über die Schultern legte.
    Sie fühlte eine sonderbare Trauer und Einsamkeit. Die Sorgen der Gegenwart tropften dahin und verloren sich in persönlichen Erinnerungen. Vor ihrem inneren Auge tauchte wieder Jimmy auf, ihr Erstgeborener – Bettas Großvater –, den sie mehr als ihre anderen Kinder geliebt hatte, auch wenn das niemand von ihnen wußte. Jimmy, um den sie sich sein ganzes langes Leben als Kind und Erwachsener gekümmert hatte, während all ihrer drei Ehen. Jimmy, den sie schließlich nach Dorsai mitgenommen hatte, um hier einen Haushalt zu gründen. Er war der Morgan, nach dem alle ap Morgan nach ihm benannt worden waren. Er war vierundsechzig Jahre alt geworden und als ehrenhafter Mann und guter Vater gestorben – aber in all diesen Jahren hatte sie ihn einer strengen Disziplin unterworfen.
    Was nicht seine Schuld gewesen war. Als gerade sechs Monate altes Baby war er ihr fortgenommen worden – auf legale Weise von ihren Schwiegereltern gestohlen, unmittelbar nach dem Tod seines Vaters und weniger als anderthalb kurzen Jahren Ehe. Danach hatte sie vier Jahre gekämpft, buchstäblich und legal gekämpft, bis sie einen Sieg über die Eltern ihres verstorbenen Mannes errang, wodurch ihr Besuchsrechte eingeräumt wurden – und dann hatte sie ihn zurückgestohlen. Mit ihrem Diebesgut zusammen war sie von der Erde zu der neuen, technologisch orientierten Welt Newton geflohen. Wo sie erneut geheiratet hatte, um dem Jungen ein Zuhause und einen Vater zu geben.
    Doch in der Zeit, in der sie getrennt gewesen waren, hatte er Schaden erlitten. Als sie nun in diesem Unterstand lag, umgeben von den Hügeln Dorsais, sah sie sich erneut mit dem Umstand konfrontiert, daß man die Schuld daran vielleicht nicht nur der Behandlung durch ihre Schwiegereltern geben konnte. Es war ebenso möglich, daß dafür ein genetischer Faktor ihrer Vorfahren und derjenigen ihres Mannes die Verantwortung trug. Aber was immer auch es gewesen sein mochte: Sie hatte ein gesundes, glückliches Kind verloren und einen Jungen zurückerhalten, der an fast psychotischen Wutanfällen litt und über ein nur schlecht ausgeprägtes Urteilsvermögen verfügte.
    Aber sie hatte ihn umsorgt, ihn angeleitet, ihn kontrolliert – sie war nie von seiner Seite gewichen und hatte ihn durch all die Jahre hindurch zu einem erfüllten Leben und ruhigen Tod geführt. Doch zu einem hohen Preis. Denn in all dieser Zeit hatte sie nie die Möglichkeit gehabt, ihn wissen zu lassen, wie sehr sie ihn liebte. Ihre Strenge, ihre unnachgiebige Autorität waren ein Surrogat für jene emotionale Kontrolle gewesen, die er nötig gehabt hatte, ein Ersatz für den Mangel an seiner charakterlichen Struktur. Als er schließlich sterbend im großen Schlafzimmer von Fal Morgan lag, hatte sie den brennenden Wunsch verspürt, ihm die Empfindungen für ihn zu schildern, die immer in ihr gewesen waren. Aber das Wissen um die Eigennützigkeit dieses Verlangens hatte ihr die Kraft gegeben, diesem Impuls zu widerstehen und zu schweigen. Die Rolle, die sie ihm gegenüber- und für ihn – sein ganzes Leben lang gespielt hatte, ließ sich nicht mit einigen knappen Worten umschreiben. Darin wäre nicht die stolze Zufriedenheit an der Art seines Lebens zum Ausdruck gekommen, und es hätte nur die Tatsache hervorgehoben, daß er ohne ihre Hilfe niemals zurechtgekommen wäre.
    Und so hatte sie ihn stumm sterben lassen, ihre Rolle bis zur letzten Konsequenz gespielt. Kurz vor seinem Ende hatte er ihr etwas zu sagen versucht. Es wäre ihm fast gelungen, ein Wort hervorzubringen. Und ein kleiner Teil ihres Denkens klammerte sich an die Vorstellung, daß er ihr in diesem letzten Augenblick hatte mitteilen wollen, daß er verstand, daß er die ganze Zeit über verstanden hatte und wußte, wie sehr sie ihn liebte.
    Als sie nun in der Dunkelheit des Unterstands lag, war Amanda so nahe daran wie noch nie zuvor, ihre wütende Stimme zu erheben gegen jenen Faktor, der dem Universum das Gesetz des Schicksals auferlegte. Warum verlangte das Leben immer von ihr, sein Exerziermeister zu sein, sein Vollstrecker, so wie auch jetzt wieder? Sie preßte die Wange gegen das dicke, weichgesessene Leder der Sitzpolster des Gleiters und vernahm die in ihr selbst ertönende Antwort: weil sie diese Aufgabe erfüllen würde und andere nicht.
    Für Tränen war sie zu alt. Sie schlief langsam ein und spürte nicht die Woge aus Dunkelheit, die sie mit trockenen Augen

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