Vom Geist der Dorsai
Bergland in Richtung Stadt verlassen“, wurde sie informiert. Der Kurier war ein vierzehnjähriger Junge und blickte sie mit den ruhigen blauen Augen der D’Aurois-Familie an.
„Warum?“ fragte Amanda. „Haben diejenigen, die die Nachricht weiterleiteten, auch gesagt, warum?“
„Er hielt sich in der Kiempii-Heimstatt auf, als er einen Anruf vom Truppenarzt erhielt“, antwortete der Junge. „Der andere Doktor hat Schwierigkeiten herauszufinden, warum die Leute in der Stadt erkrankten.“
„Das ist alles?“
„Das ist alles, was Reiko Kiempii mir für Sie auftrug, Amanda.“
„Vielen Dank“, sagte sie.
„Und sie sagte noch, nach der letzten Information sei Bettas Zustand nach wie vor unverändert.“
„Danke“, sagte Amanda.
Mit ihrem Gleiter war es nur eine gute Stunde bis zur Kiempii-Heimstatt, und der Haushalt lag nicht weit abseits jener Route, die sie einschlagen mußte, um erneut mit Lexy, Tim und Ramon zusammenzutreffen, jenseits der Wiese mit den Lagerbaracken. Sie beendete die Beobachtung der Patrouillen und machte sich auf den Weg.
Als sie dort ankam, stand Reiko vor der Tür und erwartete sie. Sie hatte bereits gehört, daß Amanda unterwegs zu ihr war. Amanda hielt den Gleiter an, stieg aber nicht aus. Sie sah die ruhige, hochgewachsene und dunkelhäutige junge Frau fest an.
„Man versuchte zunächst, Ekram in Foralie zu erreichen“, erklärte ihr Reiko, „aber er war bereits fortgegangen. Schließlich erreichte ihn der Anruf hier, vor etwa zwei Stunden.“
„Dann wissen Sie also nicht genau, was ihm der Truppenarzt sagte?“
„Nein. Ekram meinte nur, er müsse sofort in die Stadt, und er könne es nicht mehr nur allein dem anderen Doktor überlassen.“
Amanda sah Maru Kiempiis Tochter niedergedrückt an.
„Noch drei Stunden bis Sonnenuntergang“, sagte sie, „und bis ich Lexy hinunterschicken kann, um zu erfahren, über was im Lager gesprochen wird.“
„Essen Sie etwas“, sagte Reiko. „Und ruhen Sie sich ein wenig aus.“
„Das sollte ich wohl.“
Amanda hatte niemals zuvor in ihrem Leben weniger Appetit oder eine geringere Neigung dazu verspürt, sich auszuruhen. Sie konnte spüren, wie die Ereignisse unerbittlich einem explosionsartigen Höhepunkt entgegenstrebten – so wie sie in ihrer Kindheit die bebenden Wogen der Brandung des Atlantiks gespürt hatte, die an die Steilküste gerollt waren und sich dort zu einer großen Welle aufgetürmt hatten, deren Gischt bis zu den hohen Felsen hinaufsprühte, von denen aus sie den Ozean beobachtet hatte.
Aber angesichts des langen, hinter ihr liegenden Tages und einer ihr noch bevorstehenden, wahrscheinlich anstrengenden Nacht war es nur vernünftig, etwas zu sich zu nehmen und sich ein wenig zu entspannen.
Kurz vor Sonnenuntergang verließ sie die Kiempii-Heimstatt und erreichte den mit Lexy, Tim und Ramon vereinbarten Treffpunkt, noch bevor es ganz dunkel geworden war. Die Wolken hingen tief, und die sie umwehende Luft war durchtränkt von der Feuchtigkeit des bevorstehenden Wetterumschwungs.
„Ist Ekram noch in der Stadt?“ fragte sie.
„Ja“, antwortete Ramon. „Wir haben das ganze Gebiet mit einem Kordon umgeben, außerhalb der Wachtpostenlinie, die von den Truppen um die Stadt herum gebildet wurde. Den ganzen Tag über sind nur Patrouillen herausgekommen. Wenn Ekram die Stadt verläßt, werden wir davon sofort unterrichtet.“
„Gut“, sagte Amanda. „Lexy, Tim … seid heute besonders auf der Hut. In einer solchen Nacht könnten die Wachtposten in der Stimmung sein, zuerst zu schießen und dann Fragen zu stellen. Und das trifft auch für die Soldaten im Lager selbst zu.“
„Alles klar“, gab Lexy zurück.
Sie zogen fort. Amanda machte keine Anstalten, ein Gespräch mit Ramon zu beginnen, und er richtete keine Fragen an sie. Jetzt, da sie Zeuge einer wirklichen Aktion wurde, begann sie sich trotz der Rast in Kiempii-Heimstatt der Strapazen dieses Tages bewußt zu werden. In ihrem Gleiter hockend, döste sie leicht ein.
Sie fuhr hoch, als sie jemand am Arm berührte.
„Sie kommen zurück“, flüsterte Ramons Stimme nahe ihrem Ohr.
Sie setzte sich seufzend auf und versuchte, die trübe Verschwommenheit vor ihren Augen mit mehrmaligem Zwinkern aufzulösen. Doch das Dunkel um sie herum war beinah undurchdringlich. Alles, was sie erkennen konnte, war die etwa dreißig Meter entfernte Kontur der Hügelkuppe, die sich leicht von der sanfteren Finsternis des bewölkten Himmels abhob. Die
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