Vom Himmel das Helle
etwas bisher Unausgesprochenes. Etwas, das ich mir noch nicht mal im Ansatz vorstellen konnte.
Fünfzehn
Zwei etwa gleich große Forellen, jede eben noch ein schleimiger Fisch mit silbrigen, am Rücken dunkler schimmernden Schuppen, lagen auf den Tellern, als ich das Radio anstellte. Inzwischen waren die Fische gegart, tischfertig und von je einem Weißweinglas und einer hübschen Karaffe Wasser eingerahmt. Die Karaffe aus Bleikristall hatte ich unlängst in einem teuren Laden, der preisreduzierte Ware angeboten hatte, erstanden.
Nachdem ich die Fischkörper unter fließendem Wasser, das an den Schuppen zerstob, gewaschen hatte, waren sie vorsichtig mit Küchenpapier trocken getupft worden. Danach hatte ich sie mit Thymian, Salz, einem Hauch rotem Pfeffer und Zitrone gewürzt und im eigenen Saft geschmort. Der Tisch sah mit der weißen Decke und den eierschalfarbenen Servietten elegant aus. Ich war zufrieden. Auf dem Teller meines Vaters hing der Schwanz des Fisches vorwitzig über den Rand. Müde grinsend kam Papa herein, nahm Platz und riss der Forelle geübt den Kopf ab. Er gab die Haut zur Seite und machte sich mit großen, hungrigen Augen ans Essen. Kaum hatte er den ersten Bissen hinuntergeschluckt, da starrte er mich ähnlich seltsam an wie Stunden zuvor Almut Lohmann. »Der Fisch ist alt«, meinte er nur.
»Was sagst du?« Ich sah ihn verdutzt an.
»Wieso lässt du dir alten Fisch andrehen? Die Arbeit mit dem Kochen hast du dir jedenfalls umsonst angetan.«
Ich ließ mein Besteck eine Spur zu laut auf den Rand des Tellers fallen. »Ich hab den Fisch nicht im Supermarkt, sondern im Fischladen gekauft. Und er war kein Schnäppchen.«
»Er ist trotzdem ungenießbar. Darüber täuschen auch deine Kräuter nicht hinweg, die, nebenbei erwähnt, den feinen Geschmack zerstören.«
Mein Vater stand auf, wischte sich schon im Stehen den Mund mit der Serviette sauber, obwohl nichts daran abzuwischen war. »Das ist jetzt aber nicht dein Ernst? Ich bin fast eine Stunde in der Küche gestanden«, ärgerte ich mich.
»Was hältst du davon, wenn ich dich die nächsten Tage zum Essen einlade? Heute lassen wir es einfach bleiben. Ein halbes Kilo weniger, das deine Knochen zu tragen haben, schadet sicher nicht, oder spielt dein Blutzuckerspiegel nicht mit?« Papa durchschritt, nachdem er mir die Worte an den Kopf geknallt hatte, mit wenigen, weit ausholenden Schritten das Zimmer und verschwand in meinem ehemaligen Büro. Sein ganzer Auftritt war rasch vonstatten gegangen und, nebenbei erwähnt, derart grotesk, dass ich es noch gar nicht richtig fassen konnte. Ich zog seinen Teller zu mir hinüber, langte mit dem Finger nach dem Fisch, steckte, fast übertrieben vorsichtig, ein Stück in den Mund und kaute umständlich darauf herum.
»Perfekt!«, beruhigte ich mich. Und dann ärgerte ich mich noch ein bisschen mehr.
Nach dem verpatzten Essen ging ich joggen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Kaum auf der Straße, rannte ich los. Es gab kein Ziel, ich wollte nur weg, mich spüren anstatt zu denken. Dass ich heute bei Almut wieder keinen Schritt weitergekommen war, half nicht gerade, meine Stimmung zu verbessern. Offenbar befand ich mich in einer glücklosen Lebensphase, wenn man das Liebesgeständnis von Mark mal wegließ. Aber das war natürlich auch so eine Sache. Der Hoffnungsschimmer, den ich mir tagsüber in punkto Mark gegönnt hatte, war bald von vernünftigen Gedanken verdrängt worden. Wenn ich Valerie gebeichtet hätte, dass mir ein Mann namens Mark seine Liebe geschworen hatte, wäre sie vor Freude ausgerastet und hätte auf eine spontane Feier bestanden. Liebesgeständnisse kamen schließlich nicht jeden Tag vor. Schon gar nicht in meinem Leben und in Valeries auch nicht. Doch was hätte ich sagen sollen, wenn sie nach Marks Job und seinem Leben gefragt hätte? Wenn ich mit der Wahrheit rausgerückt wäre, hätte Valerie mich für übergeschnappt gehalten und darauf bestanden, dass ich irgendwo Hilfe suche.
Und was Papa anbelangte, der sah mich, meine Wohnung und mein Leben im Allgemeinen als persönliches Kolonialgebiet an. Während ich die hoffnungslos verstopften Straßen auf und ab lief, hörte ich ständig den schaurigen Unterton aus seiner Stimme heraus. Im Vakuum unseres häuslichen Daseins gedieh er anscheinend prächtig. Ich dagegen verkümmerte wie eine lange nicht mehr gegossene Pflanze.
Mit kindlich-regressiver Verzweiflung trottete ich vor mich hin, umkreiste parkende Autos, hüpfte über
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