Vom Himmel das Helle
Wenigstens das musste mir gelingen. Natürlich, das war’s. Das Dasein in Gegenwart meines Vaters war zwar dem Wesen nach instabil, aber das hieß noch lange nicht, dass man daran nicht arbeiten konnte. In der Politik ging es ähnlich zu. Brennpunkte, wohin man sah. Kriegserklärungen brachten auch nichts außer Verlusten auf beiden Seiten. Das Einzige, was taugte, waren Verhandlungen. Psychologisches Geschick im verbalen und emotionalen Umgang miteinander.
Die schmorende Hitze der Stadt war durch die Ritzen der Fenster in die Wohnung gezogen und der Rest des Tages bildete plötzlich eine große, ehrfürchtige Menge an Stunden. Zeit, mit der ich alles Mögliche anfangen konnte, auch etwas Vernünftiges. Ich ging ins Bad und schlüpfte aus meinen verschwitzten Sportsachen. Mein Gott war ich fertig. So viel Bewegung hatte ich seit Jahren nicht mehr gehabt. Gut, ich hatte ein argwöhnisches Verhältnis zu meinem Vater, überlegte ich weiter. Seine Worte waren einfach viel zu oft wie gefräßige Halunken, die einen schon am frühen Morgen überfielen und in Geiselhaft nahmen. Trotzdem, es gab die Liebe. Die Liebe, die nicht abwägte, die einfach ihre Existenz feierte. Die Liebe, von der Mark unablässig sprach. Was, wenn ich diese Liebe in mir entdeckte und, was revolutionär wäre, zum Vorschein brächte? Vielleicht nicht sofort. Aber irgendwann. Plötzlich tat sich ein Paradies vor mir auf. Das Bollwerk an getarnter Ignoranz, das mein Vater mir gegenüber die ganze Zeit über aufrechterhielt, brach entzwei. Die Barriere der emotionalen Kälte zwischen uns schmolz zusammen und floss als reißender Fluss, dann als Bach, schließlich als kaum wahrnehmbares Rinnsal ab. Unsere gestörte Beziehung trocknete aus und bildete den Boden für neues Wachstum. Meine Liebe würde unseren Acker bestellen. Der Himmel auf Erden lag vor mir. Ich sah in eine blühende Landschaft hinein, wie in ein frisch gemaltes, eben erst getrocknetes Bild. Ich hatte den imaginären Spiegel nur noch nie wahrgenommen. Obwohl er immer, jeden einzelnen Moment meines Lebens, da gewesen war.
Ich spürte, wie etwas in mir wuchs. Dieses Etwas fühlte sich erholsam und erhaben an. Genau das hätte Mark gewollt. Dass es mir gut ging. Dass ich auflebte.
Nur damit das passierte, musste ich die Hände ausstrecken und sie dem Menschen hinhalten, der mir am meisten zu schaffen machte.
Sechzehn
Almut döste im künstlichen Dämmerlicht ihres Zimmers wie im Netz einer mörderischen Spinne gefangen, der nicht zu entkommen war. Norma Thata hatte ihr ein Tablett mit Köstlichkeiten ans Bett gestellt: Sandwiches mit Gänseleberpastete und Trüffelschaum, Crostinis mit Tomate, gefüllte Eier und geröstete Champignons mit Salatgarnitur. Alles vom Caterer. Norma fand, dass das Essen appetitlich aussah. Sie bekam sehr selten etwas so Schönes zu sehen. Das Arrangement auf dem Silbertablett wirkte wie gemalt. Viel zu schön für eine so missmutige Person wie ihre Arbeitgeberin, ärgerte sich Norma im Stillen. Liebend gern hätte sie gekostet oder sogar alles aufgegessen. Aber ihr blieb nur ein flüchtiges Hinsehen und der Genuss der Düfte durch die Nase.
»Sie müssen etwas essen, Madame. Wollen Sie nicht zu Kräften kommen?«, hatte Norma beinahe gefleht und dabei versucht, ihre Gier und ihren eigenen Appetit zu verstecken. Doch Almut hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, Worte für ihre Ablehnung zu finden. Ein angedeutetes Kopfschütteln, eine wegwerfende Handbewegung, mehr war ihr nicht abzuringen. Norma war nichts übrig geblieben, als sich leise zurückzuziehen in ein Zimmer, das zu verlassen ihr strengstens untersagt war. Das Zimmer war ein Teil ihrer Abmachung, die Bedingung, als Pflegerin eingestellt zu werden. Norma hatte sich keine unnötigen Gedanken über dieses seltsame Wegsperren gemacht. Sie war ungewöhnliche Anweisungen gewöhnt, denn sie arbeitete vorwiegend für eine wohlhabende Klientel. Da kam einiges vor. Norma untersagte sich, etwas wissen zu müssen. Ihr Leben, das in der Armut Afrikas begonnen hatte und das sie im bescheidenen Wohlstand Europas fortführte, ließ keine vorlauten Fragen zu.
Sie saß ruhig im weichen Sessel mit der rotbraunen Seidenbespannung und las Zeitung. Draußen wogten die hohen Wipfel der Bäume wie Tänzer im leichten Wind. Der Himmel war der Wachtposten über ihnen wie ein blauer Bezug darüber. Norma glaubte einen Moment wieder ans stille Glück der Bescheidenheit, obwohl nichts in ihrer Umgebung darauf
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