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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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Mauern im dritten Stock sich mein Vater befand. Der Mann, der nicht gerade spendabel im Umgang mit Lob war. Ich zögerte weiterzugehen. Es war mir regelrecht zuwider, den Hausflur zu betreten, die Treppen oder den Aufzug zu nehmen und ihm in die bitteren Augen zu sehen. Meine Füße schienen am Asphalt festzukleben und mein Schweigen wuchs wie ein Geschwür. Ein schmerzendes, unbehandeltes Gewächs. »Ergeh dich bloß nicht in langen Reden«, warf ich Mark an den Kopf. »Ich weiß schon, was du mir sagen willst. Ich soll nachsichtig mit ihm sein.« Ich ahnte bereits eine ganze Weile, dass Mark an meinem Umgang mit meinem Vater Interesse fand.
    »Nachsicht wäre eine Lösung. Die schnellste, die Menschen anstreben können. Tote übrigens auch.« Na toll. Jetzt fühlte ich mich noch mieser. Weshalb klangen Marks Statements immer so weichgespült? Geradezu übermenschlich. Doch ich war weit davon entfernt, übermenschlich zu sein. Ich regte mich nun mal auf. Ich fand mich sogar dazu berechtigt, manchmal überzulaufen wie ein voller Wassereimer. Vor allem, wenn es um meinen Vater ging. Ich stiefelte die Treppen hinauf. Jede Stufe der verlängerte Arm meines eben begonnenen Sportprogramms. »Manchmal ist die beste Lösung eben nicht die, die man normalerweise hinkriegt«, spornte Mark mich weiter an. »Mag ja sein, Klugschwätzer. Aber momentan wäre ich trotzdem eher an einem Zerwürfnis interessiert. Da könnte ich mal so richtig schön aufschäumen wie Persil in der Waschmaschine und meinem Vater eine volle Breitseite verpassen. Garantiert ginge es mir hinterher besser. Auch wenn du davon wahrscheinlich absolut nichts hältst.« Mark lachte aus voller Kehle. »Ich versteh dich ja, Lea. Manchmal kommt mir sogar vor, du sprichst von mir.«
    »Von dir?« Ich konnte es nicht glauben.
    »Von mir wie ich früher war, als ich es gern kompliziert hatte, obwohl ich das natürlich abgestritten hätte. Immer mit dem Kopf durch die Wand. Am besten gleich durch zwei.« Jetzt musste ich doch noch lachen. »Muss Jahrhunderte her sein, dass du so reagiert hast. Jetzt bist du nämlich der reinste Samariter. Und da kann ich nun mal nicht mithalten. Das krieg ich nicht hin.«
    Ich blieb auf einer der Stufen stehen, darauf gefasst Marks Antwort zu kassieren wie einen Strafzettel wegen Falschparkens oder früher ein völlig danebengegangenes Zeugnis. Doch anstatt mit einer Antwort konfrontiert zu werden, irgendeinem letzten belehrenden Wort, einem klugen, sinnigen Hinweis, irgendwas Vernünftigem, auf das ich zumindest noch was entgegnen hätte können, breitete sich ein fahles, sich völlig falsch anfühlendes Schweigen aus, das nur von den Geräuschen des Hauses unterbrochen wurde. Dem Knarzen eines Fensters, dem Quietschen von Türen, dem Ächzen der Wände. »Mark?« Ich hörte meine eigene Stimme widerhallen. Ein befremdendes Echo, das sich an den Wänden im zweiten Stock brach. Nichts. Keine Antwort meines Freundes, der in mir von Tag zu Tag mehr das Gefühl eines liebgewordenen Menschen wachrief. Manchmal sogar mehr als das, nämlich ein Gefühl, dem ich – noch – keine Etikettierung geben wollte. Ich sah mich um, als hätte ich Mark die ganze Zeit über körperlich wahrgenommen. »Bist du wütend, weil ich uneinsichtig bin?«, fragte ich. Vielleicht war ich in seiner Vorstellung gerade heruntergestuft worden. Von einer halbwegs akzeptablen Entwicklungsstufe auf die Nächstgeringere, vermutlich eine nahe Verwandtschaft zum Affen.
    Mein mit einem robusten Ego ausgestatteter Vater riss in meine vorgerückten Überlegungen hinein die Tür auf und schaute mich grimmig wie ein Bär an. »Wo steckst du die ganze Zeit? Verschwindest ohne ein Wort. Ich hab mir Sorgen gemacht. Schließlich leben wir nicht in einem Kaff, wo dich höchstens eine entlaufene Kuh erschrecken könnte, sondern in einer Millionenmetropole mit hoher Kriminalitätsrate.«
    »Ach, nein!«, entgegnete ich bissig und trat ein, hinein in eine Wohnung, die mir mit ihrer hinterhältigen emotionalen Leere langsam über den Kopf wuchs. Dass die meisten Verletzungen, Überfälle und kriminellen Handlungen innerhalb der Familie stattfanden, unterschlug ich für den Moment. Öl ins Feuer zu gießen, kam plötzlich nicht mehr infrage. Nicht bevor ich Mark wieder gefunden und besänftigt hätte. Ohne ihn fühlte ich mich seltsam nackt, als fehle mir der wärmende Schutz seiner Worte. War es nicht vernünftiger, einen Überlebenspakt zu schließen. Bilaterale Gespräche.

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