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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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verlieren wir die Kontrolle über die unserem limbischen System eingeprägte Angst.« Ich atmete tief ein und aus, ballte meine Hände zur Faust und klopfte so mehr pro forma an die Tür. Ehe ich dazu aufgefordert worden war, trat ich ein.
    Almut lag wie eine lebende Puppe im Bett. Die Augen zu kleinen Schlitzen verengt. Der restliche Körper bewegungslos, wie aus Wachs. Als sie mich wahrnahm, hob sie sachte und wie falsch eingeübt den Oberkörper. Ihre Augen blickten kurz verschreckt, ehe sie sich wieder entspannten und sie erneut zurück in die Kissen sank. Im hinteren Teil des Zimmers meinte ich einen Schatten wahrzunehmen. Ich musste blitzartig an Mark denken, den ich nie als Schatten wahrgenommen hatte, sondern immer nur als Gefühl. Dabei hatte ich mir als Kind immer Dunst oder wenigstens Umrisse vorgestellt, wenn ich etwas über Geister gelesen oder im Fernsehen angeschaut hatte.
    Ich kam näher und blieb einen Augenblick schweigend vor ihrem Bett stehen. »Almut …?«, begann ich. Sie schwieg.
    Irgendetwas ließ mich vor ihr zurückschrecken. War es ihr falscher Blick, ihre unnatürliche Körperhaltung oder etwas anderes? Ich war mir plötzlich sicher, dass ich nicht allein mit ihr im Zimmer war, sondern dass sich irgendjemand in den hinteren Teil des Raums zurückgezogen hatte. Ich würgte meinen Speichel hinunter und spürte, wie sich meine Muskeln zusammenzogen. Ich wusste nicht, was hier vorging, aber ich war zum ersten Mal seit langer Zeit wieder voll da, ich war auf der Hut. Ich spürte, wie sich eine Erregung in mir ausbreitete, die ich so noch nicht kannte, zumindest nicht in Kombination mit meinem Beruf. Jeder Zweifel schmolz im Angesicht meines Tatendrangs, wurde durch meine Adern gespült wie brackiges Wasser, das nicht länger in mir eine Heimat haben durfte.
    Ich hockte mich auf den Boden neben Almuts Bett, nahm ihre Hand in meine und presste sie danach an mein Schlüsselbein. Sie versuchte, sie mir zu entziehen, wollte mir geschickt ausweichen, doch darauf war ich ebenfalls vorbereitet, ich war stärker. Nur kommen lassen, sprach ich mir selbst gut zu. Lass die negative Energie zu, sieh sie dir an, weich ihr nicht länger aus. Hab keine Angst davor. Ich sah ihre Zähne im Widerschein des Fensters blitzen wie Messer, die es auf mich abgesehen hatten. Ein Mund wie eine Meuchelmörderin, schoss es mir durchs Gehirn. Und dann wusste ich es plötzlich.
    Almut war nicht nur ein Opfer. Sie war das Opfer und der Täter zugleich. Der Hinweis, der aus dem Nichts über mich hinweg schwappte wie eine Brecherwelle, legte mein Gehirn lahm und nahm mir die Luft zum Atmen.
    Aus ihrem Mund drang ein Schrei. Ein kleiner, spitzer, hoher Ton, der mir in den Ohren wehtat. Ich roch ihren Schweiß. Angstschweiß. Endlich hielt sie still, ließ ihre Hand an meinen Körper gepresst, als hätte ich sie ihr von ihrem abgetrennt. Ich hielt weiter den Atem an und nahm sie mit einem Blick, schroff und scharf wie eine Felswand, gefangen. »Ich verlasse dieses Zimmer nicht eher, bis Sie mir sagen, was wirklich geschehen ist.« Ich musste mich zwingen, sie zu Siezen. Alles in mir drängte danach, du zu ihr zu sagen und unser Kennen preiszugeben. Almut, ich bin’s, Lea. Ich stand damals oft unter dem Mauervorsprung gleich beim Schuleingang und hab dich sehnsüchtig beobachtet. Ich fand dich so toll. Du warst meine heimliche Heldin . Ich zwang mich meine Empfindungen für mich zu behalten, denn sie auszusprechen, stand mir nicht zu.
    »Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Lassen Sie mich in Ruhe oder ich schalte meinen Anwalt ein.«
    »Was geht hier vor, Almut? Ich spüre doch, dass etwas nicht stimmt. Was ist Ihnen geschehen? Was haben Sie mit Ihrem Mann gemacht?«
    Versteckte Erinnerungen! Das wurde mir mit der Gewaltentladung eines Blitzes klar. Almut Lohmann litt unter versteckten Erinnerungen, die wie giftiges Unkraut aus dem Bodensatz ihres Unterbewusstseins sprossen. Sie hatte etwas gesehen, etwas geplant oder sogar selbst ausgeführt, womit jetzt, nach den Auswirkungen, plötzlich nicht mehr klarzukommen war. Deshalb benahm sie sich unkooperativ und verweigerte jedes echte Gespräch. Sie hatte panische Angst davor, sich wieder an ihre Gefühle anzuschließen. Deshalb glich sie einem Abziehbild ihrer selbst. Ein Charakter wie Almut reagierte anders, als sie es momentan tat. Etwas Schreckliches war vorgefallen und hatte sie aus der Bahn geworfen. Und es war nicht der Tod ihres Mannes, der sie so zugerichtet hatte. Es war

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