Vom Himmel das Helle
Hölle heiß machen. Und was das hieß, wollte ich mir lieber nicht vorstellen.
Ich wusste, dass das System der Körperfunktionen bei sozialen Säugetieren nicht autonom ist. Jeden Augenblick, jede Sekunde hängt dessen optimale Regulation von unseren Beziehungen ab. Am meisten natürlich von denen zu anderen Menschen. Besonders solchen, die uns emotional nahestehen.
Ich spürte seit meinem ersten Gespräch mit Almut, dass ihr Schmerz nicht daher rührte, was geschehen war und sie bereits hinter sich gelassen hatte. Er musste seinen Ursprung woanders haben. Vielleicht schmerzte sie der Gedanke daran, was noch geschehen könnte oder, noch diffiziler, was auf jeden Fall geschehen würde . Dieser gedankliche Ansatz war der Knackpunkt.
Ich erinnerte mich wieder an den Schatten, den ich bei unserem letzten Gespräch in Almuts prachtvollem, geräumigen Schlafzimmer wahrgenommen hatte. Es konnte sich um ein Lichtphänomen gehandelt haben. Auch eine Halluzination wäre möglich, aber ich vertraute auf mein Gespür, das mir etwas anderes, gefährlicheres suggerierte. Was wäre, wenn Almuts Peiniger sich nach der Tat nicht über alle Berge gemacht hatte, wie jeder halbwegs intelligente Mensch vermuten musste, sondern sich noch immer im Haus befand? Wäre dort nicht das beste Versteck von allen? Niemand würde auf die Idee kommen, das Haus nach einem Täter abzusuchen, denn in der Villa würde ihn nur ein Geisteskranker vermuten. Ich schlug den Gedanken auf wie ein lange gesuchtes Buch und verweilte einen Moment darin. Schließlich blätterte ich meine Empfindungen wie die einzelnen Buchseiten durch. Es änderte sich nichts. Ich konnte mit dieser Vorstellung durchaus etwas anfangen. Also machte ich weiter, blätterte die nächste Seite meines Gedankenbuchs um und überflog dessen Inhalt. Meine nächste Vermutung war, dass Almut von ihrem Peiniger erpresst wurde oder, was noch fataler wäre, von ihm abhängig war – in irgendeiner vorstellbaren oder noch unvorstellbaren Art und Weise. Almut fürchtete sich nicht vor den Schrecken der Vergangenheit, sie hatte panische Angst vor dem, was die Zukunft brachte. Eine Zukunft, die sie zum Großteil selbst zu verantworten hatte, die ihr eventuell aber auch entglitten war.
Ich spürte, wie mich ein Schweißfilm vom Haaransatz bis zum Steißbein überzog.
Die Gedanken ließen sich nicht mehr abschalten. Sie nahmen mich gefangen, spukten in meinem Kopf herum und legten alle anderen Vorgänge lahm. Ich spürte, wie mein Fuß aufs Gas drückte. Obwohl nur siebzig Stundenkilometer erlaubt waren, fuhr ich hundertzehn. Ich registrierte es, bekam meinen Fuß deshalb aber nicht unter Kontrolle. In meinem Kopf summte ein einziger Gedanke: Ich weiß endlich, wo ich ansetzen muss, um Almut, diese schwer zu knackende Nuss, einen Spalt weit zu öffnen.
Ich fuhr hoffnungsfroh die Bundesstraße entlang. Zufrieden mit meinen Überlegungen und einer neu ausgearbeiteten Strategie, die nichts mehr mit dem Näherbringen von Akupunkturbehandlungen zu tun hatte. Vom Grauen und der realen Gefahr nur wenige Gedankenzüge entfernt.
Einundzwanzig
Almut starrte in den Fernseher auf das stumme Bild, wo sich zwei schöne Menschen, eine Frau und ein Mann, küssten. Es war eine Szene in einer amerikanischen Serie. Doch schon bald drehte Almut den Ton ab. Sie schaffte es nicht, der Handlung zu folgen, denn ihre Gedanken führten einen erbitterten Kampf.
Seit sie sich erinnern konnte, hatte sie nach bestimmten Gesetzen gelebt. Eins davon lautete: Schönheit, Stärke und Geld setzen sich durch. Doch seit einigen Tagen schlichen sich Zweifel ein. Almut überlegte, ob Überfluss als Begleiter der Tage und Nächte, dieses Daseinsmodell, das ihr immer so gut gefallen hatte, noch taugte.
Durch ihre Heirat mit Friedrich besaß sie genügend Geld. Sie konnte sich alles kaufen, musste nicht dafür arbeiten, trug keinerlei Risiko, war gesund. Auf Kinder hatte sie verzichtet, weil sie sich nicht um sie kümmern mochte und Friedrich ohnehin keine Zeit dazu und auch kein sonderliches Interesse an dem Thema gezeigt hatte. Trotz all dieser Privilegien, hatte sie nach einigen Jahren Ehe das Gefühl gehabt, ihr fehle etwas im Leben. Einem Leben, das ihr auf fast hinterhältige Weise vertraut war, verstörend vertraut und das doch wie schales Bier schmeckte.
Immer öfter nahm sie fremde Männer wahr und flirtete mit ihnen. Das kurzfristige Prickeln, wenn man in fremden, zupackenden Armen lag, einen frisch gefangenen Schwanz
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