Vom Himmel das Helle
erklären.
»Wie geht das und warum ist es erlaubt und wieso hast du das nicht schon längst gesagt …« Mir gingen Fragen über Fragen im Kopf herum.
Doch Mark ging nicht näher auf das wie ein und sprach stattdessen vom warum. »Ohne Körper hätte ich dich nie davon abhalten können, diesen Raum zu betreten.« Er deutete auf die Türklinke, unter der wir wenige Sekunden zuvor noch gelegen hatten und die zu dem Raum führte, aus dem die Musik Martin Grubingers nach draußen drang. Der Raum, in dem ich Almut und Bogdan vermutete.
Mark zögerte keinen Moment, schlang seinen Arm erneut um mich – diesmal sträubte ich mich nicht dagegen, dazu fehlte mir die Energie –, und brachte mich hinauf ins Parterre. Noch immer kamen sich in meinem Gehirn die unterschiedlichsten Gedanken, Fragen, Anmerkungen und Zweifel ins Gehege. Ein schlecht organisiertes Gefecht. Doch da es zu viele waren, um ihrer Herr werden zu können, schwieg ich genauso wie Mark. Da standen wir nun, im Flur dieser Villa. Ich sah ihn mir zum ersten Mal in Ruhe an und da bemerkte ich, dass seine Narbe kleiner war als eben noch wahrgenommen, seine Augen dunkel, aber keineswegs verbrecherisch und kalt, sein Mund zart und schmal, aber bei Weitem kein Schlitz, der an ein Messer erinnerte. Und da wusste ich, dass dieser Moment zu etwas taugte. Ich war dabei, mir zu beweisen, dass das, was wir mit dem Auge wahrnehmen, eine Illusion ist. Und zwar deshalb, weil das Auge von der Wahrnehmung des Gefühls und der Gedanken gespeist wird.
Ich hatte mit Bogdan und seiner Aura der Dunkelheit gerechnet, hatte seinen unheilvollen Charakter auf die Gestalt projiziert, die ich zu sehen bekam. Und so war Mark mir wie ein Monster vorgekommen, gegen das ich alles aufbringen musste, was ich zur Verfügung hatte.
»Der Körper ist eine Illusion«, murmelte ich. Meine Stimme vibrierte und Mark nickte und lächelte. Er kam einen Schritt auf mich zu, machte seine Arme weit, kilometerweit, und schloss mich darin ein. Eine wunderbare Umarmung, sanft und kraftvoll zugleich wie zwischen zwei Flügeln. Ich lag in seinen Armen, als schlummerte ich in der Obhut eines Engels. Meine Organe reagierten auf das plötzliche Signal der Sicherheit. Mein Atem beruhigte sich. Der Puls normalisierte sich. Das Zittern, das die Kälte ausgelöst hatte, ebbte endgültig ab. Die Wärme kroch zurück in meine Glieder bis in die Fingerspitzen. Ein Gefühl angenehmer Lebendigkeit. Ich schmiegte mich noch fester an Mark und zerfloss wie Butter, die man über eine kleine Flamme hielt, gerade so viel, dass sie einen goldgelben, schön anzuschauenden See bildete, den man über etwas träufeln konnte.
Noch während der Umarmung fühlte ich, wie sich alles auflöste. Ich spürte, dass Marks Körper sich verflüchtigte wie Gas. Er löste sich nicht in seine Bestandteile auf, nein, er verdampfte geradezu. Und so stand ich da, meine Arme um einen Luftkörper geschlungen, den ich am liebsten bis in alle Zeiten festgehalten hätte, meine Wange an einen nicht mehr existierenden Oberkörper gelegt. Der Spiegel im Flur warf mir dieses seltsam anmutende Bild zurück. Doch ich lächelte weiter, bis ich unten eine Tür gehen hörte. Almuts Stimme und die eines Mannes katapultierten mich in die harte Realität zurück. Ich löste mich von den letzten unscharfen Bildern, die ich noch im Kopf hatte und holte rasch mein Handy. Dann hastete ich durch den Flur, öffnete mit festem Griff die Haustür und entglitt in die Dunkelheit der Nacht.
Zweiunddreißig
Meine Hände lagen steif auf dem Lenkrad, als ich durch die Stadt fuhr. Während mein Körper mechanisch und routiniert funktionierte, wütete in meinem Kopf ein Tornado. Von Almut und ihrem vermeintlichen Liebhaber einmal abgesehen, hatte etwas Ungeheuerliches stattgefunden. Ich hatte Mark gesehen . Mein Vater kam mir nicht länger wie der Sargnagel vor, dem es auszuweichen galt, denn es gab Wichtigeres als ihn. Es gab einen Geist in meinem Leben, den ich zumindest unter bestimmten Umständen sogar sehen konnte. Das änderte alles für mich.
Die Tatsache, dass ich Mark die Tage zuvor nur hatte hören können, war der Hauptgrund gewesen, das Ganze zwischendurch als Fantasie abzutun. Eine männliche Stimme zu hören, war eine Entgleisung meinerseits. Jemand, mit dem ich ungeschönt sprechen konnte, weil sonst niemand da war, der mir Paroli bot und der mir die Wichtigkeit jeden Lebens, auch meines eigenen, als Geschenk darbot – daran hatte ich lange festgehalten.
Weitere Kostenlose Bücher