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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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sondern über meinem Handy, in das ich ständig die Nummer der Polizei eingetippt habe, nur um sie wieder zu löschen. Es kam mir aberwitzig vor, nach Lea Einsiedel suchen zu lassen, die selbst einem Mord auf der Spur ist.«
    »Papa«, hob ich erneut an und fasste mir an den Kopf. »Ich konnte nicht anrufen. Mein Akku war leer. Außerdem hatte ich anderes zu tun, als mit dir zu plaudern.«
    »Durch deine ungehörige Vorgehensweise war es mir unmöglich, mich um ein Kunstwerk zu kümmern, das von einer anstreifenden Handtasche ruiniert worden ist. Weißt du, was das für meinen Ruf bedeutet?« Ehe ich darauf antworten konnte, sprach er bereits weiter. Ein schier unerschöpfliches Reservoir an Worten. »Clemens Einsiedel steht dafür, nie einen Termin zu verpassen. Darüber hinaus hätte ich mich auch noch mit einer Abhandlung beschäftigen müssen, die sich dem Thema Latex in der Kunst widmet. Wusstest du, dass man Latex nicht restaurieren kann, nur konservieren?« Ich schüttelte müde den Kopf. »Ich sagte mal jemandem, der mich danach fragte, wie lange sein Kunstwerk hält: ›Wenn Sie es in einem Vakuum kühl lagern und kein Sauerstoff dazukommt, hat es gute Chancen ein biblisches Alter zu erreichen. Wenn Sie es allerdings nicht tun, wird Ihr Kunstwerk zerbröseln . ‹Es handelte sich übrigens um ein Werk auf Latexbasis, auf das Farbe aufgetragen wurde wie auf eine Leinwand.«
    »Papa, hör endlich auf.« Ich war lauter geworden, obwohl ich genau das nicht hatte tun wollen. Schreien war immer ein Zeichen von Schwäche. Ich hatte mir vielmehr vorgenommen, Ruhe zu bewahren. Mark und mir zuliebe. Doch mein Vater schaffte es immer wieder, mich aus der Reserve zu locken. »Ich bin völlig fertig und mich interessiert im Augenblick nicht, was du verpasst hast. Nicht weil du mir egal bist, sondern weil ich keine Kraft dazu habe.« Ich sah meinen Vater flehend an. Darauf hoffend, er würde bemerken, dass ich völlig durch den Wind war. Doch in seinen Augen stand die für ihn typische kühle Distanz und kein bisschen Verständnis geschrieben. Inzwischen kam er mir regelrecht militant vor. Ausschließlich seine Vorzüge im Sinn tapste er durch mein Leben. Ein strenger Herrscher über sein Volk, das aus einer Person bestand. Aus mir.
    »Und überhaupt«, fügte ich an, weil sein Blick hart wie Stein blieb. Inzwischen reichte es mir, dass ich mich ständig schuldig fühlen musste. »Ständig liegst du mir mit deiner Arbeit in den Ohren. Bist du jetzt in Pension oder nicht?«
    »So was geht nicht abrupt. Ich schätze fließende Übergänge«, murrte er.
    »Erst unlängst hab ich über ein Werk mit dem herrlichen Titel ›Shithead‹ gelesen. Hinter dem Werknamen verbirgt sich, du wirst es nicht glauben, der Kopf des Künstlers. Gegossen aus Exkrementen.« Mein Vater ließ sich keine Regung anmerken. »Weißt du, welcher Gedanke mir als Erstes gekommen ist?« Endlich tat sich etwas. Mein Vater presste seine Lippen fest aufeinander, als ahne er, was kommt. »Was mach ich, wenn du das mal zum Restaurieren kriegst? Suchst du dann in unseren Abflussrohren nach dem passenden Füllmaterial, um das Werk wieder herzustellen? Hör mir auf mit deiner Kunst und deinen Lebensweisheiten. Beides stinkt manchmal zum Himmel.«
    Nach dieser Retourkutsche an Wörtern, die mir wie ein Wasserfall von der Zunge geschossen waren, starrte mein Vater mich an, als habe ich ihm mitgeteilt, dass ich ihn vor die Tür setze. Er zögerte einen für ihn ungewöhnlich langen Augenblick, dann faltete er seine Lippen übereinander. Diesen Strich gab er mir als Monument seiner momentanen Verfassung mit auf den Weg durch die Wohnung, drehte sich beleidigt um und rauschte ab. Ich sah ihm anhand seiner starren Rückenhaltung den Gram und das pure Entsetzen an, aber auch die trotzige Beharrlichkeit eines alten Mannes.
    »Schönen Tag übrigens noch«, rief ich ihm hinterher und tat dann etwas, was ich mir schon lange gewünscht hatte. Ich schlug die Küchentür hinter mir zu, dass die Wände zitterten. Die einzig richtige Reaktion nach dem, was ich erlebt hatte.
    Ich war noch keine Minute in der Küche, da hörte ich ihn mit seiner knochigen Hand gegen die Tür poltern. Ich ignorierte seine Geräusche und riss stattdessen die Kühlschranktür auf. Beherzt griff ich nach der Tafel Schokolade, die ich als Notreserve unter der Butter verstaut hatte, riss die Silberfolie auf und biss mit der ganzen Größe, zu der mein Mund fähig war, hinein. Als ich die zarte

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