Vom Himmel das Helle
Luft hineinzulassen und schob den Vorhang zur Seite. Draußen war das bisschen Blau des Himmels an einer geballten Ladung Wolken festgewachsen. Von der Straße her vernahm ich leises Regenrauschen.
Ich zog mir ein T-Shirt und einen Slip an, ging zu meinem PC, fuhr ihn hoch, hockte mich auf den Rand meines ins Zimmer gepferchten Bürostuhls und rief meine Mails ab.
Als Erstes entdeckte ich den Artikel eines Naturwissenschaftlers, dessen Name mir zwar etwas sagte, was genau, konnte ich so schnell aber nicht abrufen. Die Mail erregte meine Aufmerksamkeit, denn sie trug die Überschrift: Tot, Leben und Bewusstsein . Ich klickte auf Öffnen und begann zu lesen.
» Wir können davon ausgehen, dass mit der Welt etwas Einzigartiges passiert.« Meine Neugier, schon durch die Überschrift geweckt, verstärkte sich und ich begann den Großteil des umfangreichen Artikels zu überfliegen, um mir die interessanten Ansätze rauszupicken. Doch das war leichter gesagt als getan. Ich blieb immer wieder an Fußnoten hängen und hangelte mich durch den Text wie ein Bergsteiger, der bei jedem Schritt neu überlegte, wo es hinging und welche die sicherste Route war, um am schnellsten zum Gipfel zu kommen.
» Es liegen Indizien vor, die unsere bisherige mechanisch geprägte kosmische Weltsicht erweitern …« Das konnte ich dank Mark und seinem Auftauchen in meinem Leben inzwischen bestätigen. »Chaos ist ein Indikator für das Umschlagen in einen neuen Ordnungszustand … Datenerhebungen aus der Historie menschlicher Hochkultur ergeben erstaunliche Zusammenhänge zwischen Auf- und Niedergang der Hochkulturen und der Sonnenaktivität … Korrelation zwischen menschlicher Psyche und elektromagnetischen Feldern.« Was ich las, klang faszinierend. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Mark mir erst vor wenigen Tagen vorgeschlagen hatte, neu zu denken. Und voilà, hier bot sich die Gelegenheit dazu. Ich musste schon eine ganze Weile, seit den ersten Sätzen der Mail, an seine Andeutungen denken. Worte über Liebe und eine neue Ordnung, die das Chaos, das um uns herum herrschte, beenden würde. Worte, von denen ich inzwischen annahm, dass sie der Anfang einer längeren Unterweisung waren. Jetzt wurde mir plötzlich erneut etwas klar. Es war kein Zufall, dass Mark in meinem Leben aufgetaucht war und über Liebe und Vertrauen redete, als ginge es um Alles oder Nichts. Inzwischen hielt ich es sogar für möglich, dass er ein Schatten meiner Zukunft war.
Damit nicht genug, empfing ich jetzt den Artikel eines Wissenschaftlers, den ich persönlich gar nicht kannte, der aber genau in die gleiche Kerbe schlug wie Marks Worte. Ich ließ die Gedanken in mir kreisen und spürte, wie sie sich verdichteten, wieder und wieder in mir hochstiegen. Ich schob für den Moment alles beiseite und las den Bericht weiter, der an Spannung kaum zu überbieten war.
»Die Sonnenaktivität hat auf die Stimmungslage der Menschen einen enorm großen Einfluss … Bewusstsein setzt mit einer Anzahl gemachter Erfahrungen ein.« Ich las detaillierte Ausführungen über Nahtoderfahrungen und Beschreibungen über Satori bei Zen-Buddhisten, die sogenannte Erleuchtung. Sie gehe einher mit der Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter. »Erleuchtung!«, wiederholte ich und ließ das Wort auf der Zunge zergehen, wie meine Lieblings-Trüffel. Als Notfallpsychologin hatte ich nicht unbedingt mit diesen Phänomenen zu tun, eher mit dem Gegenteil, mit Unbewusstheit. Trotzdem hatte ich schon von der Tatsache gehört, dass Zen-Buddhisten oder indische Heilige im Zustand der Erleuchtung ihr Ich verlören. Der Verlust des Ichs, das uns so heilig ist, bedeutete die völlige Freiheit von Gedanken und Wünschen. Auch das klang für uns westlich orientierte Menschen nicht gerade erstrebenswert. Was sollte man gewinnen, wenn man keine Wünsche und vor allem keine Gedanken mehr hatte? Schließlich bestand man fast vollständig daraus: aus Wünschen, Wunscherfüllung oder Verweigerung und einem Schädel voller Gedanken.
Gib dein Ich auf! Das beinhaltete, dass man nicht mehr urteilte, sich allem hingab, denn ohne Ich gab es kein Urteil, kein Wollen und kein Verzagen mehr.
Ich erinnerte mich, dass eine Kollegin von mir sich im Laufe unserer Ausbildung auch mit psychoaktiven Substanzen beschäftigt hatte, etwa mit bestimmten Pilzen, die Schamanen aßen und nach deren Genuss sie in eine erweiterte Bewusstseinsebene vorgedrungen waren.
Ich las weiter, wie ein Kind, das auf die Spur eines
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