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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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großen Geheimnisses gestoßen war. »Seit einigen Jahren messen Astro- und Geophysiker eine nicht erklärbare dramatische Zunahme an bestimmten elektromagnetischen Feldern, die von unserer Sonne und aus den tiefen Räumen des Alls kommen … Die Nasa berichtet von einer Energiewelle von nicht für möglich gehaltener Intensität …, die direkt auf die Erde gerichtet war … Diese Felder wirken auf unsere Biostruktur ein … vereinfacht ausgedrückt … es kommt zu einer Erweiterung des Bewusstseins.« Die ganze Zeit, während ich las, saß ich wie im hellen Schein einer Taschenlampe – im Zentrum des Wesentlichen gefangen. Wie vom Donner gerührt, mit Gänsehaut am ganzen Körper. Doch jetzt konnte ich nicht mehr, ich hörte auf zu lesen. Es war mir zu viel. Ich begann, ein Gefühl zu entwickeln, dass die Mauern der Normalität, die unser aller Leben, auch meines, umgaben, einbrachen. Was wäre ich ohne diesen Schutz? Wie stünde ich da? Könnte ich es allein, ohne jede Struktur, wie man zu leben hatte, schaffen? Es brauchte eine ganze Weile, bis ich mich überwand, ein letztes Mal den Mittelteil des Berichts anzugehen.
    »Es existiert etwas nach dem Tod … etwas, das sich all seiner Erlebnisse bedienen beziehungsweise erinnern kann ….aus hochkomplexen Berechnungen geht hervor, dass ein postmortaler Zustand, ein Leben nach dem Tod wahrscheinlich ist, denn der Mensch trägt einen immateriellen Kern, der den leiblichen Tod überdauert …. Unsterblichkeit ist eine Option, die von den meisten Menschen ungenutzt bleibt, aufgrund fehlender Information und fehlgeleitetem Denken.«
    Ich hielt inne, denn ich war regelrecht erschlagen von der Wucht des Textes.
    »Unsterblichkeit! Ewiges Leben …« Ich wiederholte die Worte für mich selbst, denn im Moment war ich meine eigene Zuhörerin. Worte, die im Verlauf meines Lebens lediglich verlustig gegangen waren, deren Existenz aber grundsätzlich unbestreitbar war, auch wenn vermutlich nur ein marginaler Teil der Menschheit etwas davon gehört hatte. Erneut wurde vom ständigen Denken gesprochen. Demselben, mit dem auch ich die meiste Zeit meiner Tage verbrachte. Wahllos herumdenken. Sollte alles, was ich bisher für richtig gehalten hatte, ein einziger, großer Irrtum sein? War Mark, der keinen Körper mehr besaß, zumindest die meiste Zeit über, und der als Geist oder Energiewesen existierte, am Ende realer als ich und alle anderen um mich herum? Wenn tatsächlich stimmte, dass Gedanken Humbug waren, eine Sackgasse, die einem nichts brachte außer einem Stopp vor einer Wand, dann waren die Querelen mit meinem Vater, die aus nichts als Gedanken, Empfindungen und Meinungen bestanden, ein Kartenhaus, das jeden Moment zusammenfallen konnte. Und zwar in dem Moment, in dem ich oder er die Realität der Einheit erkannte und sich entschloss, nach ihr zu leben.
    Ich klickte die Mail weg und fuhr den Computer hinunter. Dann ließ ich meine verschränkten Arme auf den Tisch sinken, legte meine Stirn darauf und schloss die Augen. »Mark!«, fiel mir als Letztes ein. »Warum bist du nicht hier, um mit mir über die Mail zu sprechen?« Ich wünschte ihn mir sehnlichst in seinem Körper herbei. Ein Gefühl von großer Intensität nahm mich gefangen.

Fünfunddreißig

    Gegen neunzehn Uhr trat ich in den Flur meiner Wohnung, entschlossen mir die Nachrichten im Fernsehen zu gönnen und hinterher zu sehen, was kommt. Ich traf auf meinen Vater, der einen dunkelblauen Anzug mit getupftem Einstecktuch, ein weißes Hemd und frisch geputzte schwarze Schuhe trug und auf mich wartete. Er nahm mit zufriedener Miene zur Kenntnis, dass ich angemessen gekleidet war, reichte mir meinen Trenchcoat und deutete auf die seiner Meinung nach passenden Schuhe zu meinem bordeauxroten, bequemen Kleid – einem Paar teurer, aber Gott sei Dank im Schlussverkauf ergatterter Stilettos. Er half mir Fuß um Fuß hinein, was mich als Nächstes verwirrte und ließ mir dabei keine Zeit, irgendetwas zu fragen.
    Draußen vorm Haus wartete ein Taxi am Straßenrand auf uns. Wir stiegen über große Pfützen hinweg schweigend in den Wagen.
    »Was hast du vor? Zuerst staubsaugst du und jetzt entpuppst du dich als Entführer im Anzug«, fragte ich endlich, als ich im Sitz auf der Rückbank eingesunken war. Mein Vater hatte sich neben den Fahrer gesetzt, als brauche der dringend seine Unterstützung. Vielleicht wollten sie bei Gelegenheit synchron schalten oder mein Vater wollte den laufenden Taxameter beobachten. Er blickte

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