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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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reagierte rasch, bewegte ihre Hand nach oben und drückte ihm einen mit Chloroform getränkten Wattebausch unter die Nase, den sie hinter seinem Rücken hastig vorbereitet hatte. Es war der Auftakt zu einer minutiös geplanten Tat. Der süßliche Geruch durchströmte den Raum, während Bogdan, irrwitzig aussehend, das Bewusstsein verlor. Er sackte in sich zusammen. Laut und ungelenk.
    Almut stand da und sah wie von einem meterhohen Hügel aus auf ihn herab. Sie spürte nichts. Weder ihre Atmung, noch Schmerz, weder Angst oder gar Zweifel. Bogdan, die intime Spöttelei ihrer letzten Monate, der Mann, der ihr in diesem Moment zwar ergeben war, aber dessen Leben noch immer andauerte, steckte fest in einem Maschengeflecht. Das, was hier stattfand, war kein unschöner Fleck, irgendeine Nebensächlichkeit in seiner Biografie, sondern das abrupte Ende. »Dreckskerl!« Almut spuckte vor ihm aus. Sein Leben, eben noch stolz vor ihr aufgerichtet, war zu einem minimalen Etwas verkommen, das sie kaum noch benennen konnte. Almut griff nach dem Segeltau, das sie seit jeher in Bogdans Versteck verstaut hatte, zusammen mit dem kleinen Flaschenzug und der Trapezhose. Alles Dinge, die sie zum Segeln brauchte. In präziser Ausführlichkeit schlang sie das Segeltau durch einen stabilen Haken in der Decke, an dem Bogdan unlängst ein Mobile aus Stahl befestigt hatte. Dann hakte sie den Flaschenzug ein und hievte Bogdan mit Hilfe der Trapezhose an die Decke. Sie schlang ihm die tödliche Schlinge um den Hals und legte einen der teuren Designerstühle exakt bemessen unter den hängenden Körper. Geradeso, als sei er von Bogdan umgestoßen worden. Anschließend fädelte sie den Flaschenzug aus dem Haken und befreite Bogdan mit letzter Kraft von seiner Trapezhose. Danach verstaute sie die Utensilien wieder im Schrank, zog sich die Gummihandschuhe aus und steckte sie sich in die Hosentasche.
    Almut wusste, dass es optimal wäre zwei oder drei Meter zu fallen, damit das Genick brach. Doch diese Perfektion war in Bogdans Fall nicht möglich. Er war dabei zu ersticken, denn ihm war nicht mehr als ein Meter Fallhöhe zur Verfügung gestanden. Dieser Meter oder etwas mehr musste ausreichen, um seinem Leben ein Ende zu bereiten, indem an seinem Hals ein umgedrehtes V sichtbar wurde. Keine Quetschungen, keine gebrochenen Knorpel, keine Kampfspuren an seinen Händen oder seinem Hals. Nur das von der richtigen Hängeposition verursachte umgekehrte V. Der Beweis, dass es sich um Selbstmord handelte.
    Ein paar Minuten in diesem Raum würden genügen. Still hängend. Ohne hektisch zappelnde Beine und Arme, ohne verdrehte Augäpfel. Danach wäre es vollbracht. So wenig lag also zwischen einem letzten Rest von Leben und dem vollständigen Rückzug desselben. Dem Tod. Da hing er. Bogdan Ivanovics letzter Augenblick war gekommen. Ihr geheimer Liebhaber starb vor ihren Augen.
    Almut wandte ihm pietätvoll den Rücken zu. Was ihr als Erstes ins Auge fiel, war ein robustes Seil, das auf dem Tisch lag und das von mehreren Zeichnungen, die Bogdan anscheinend eigenhändig angefertigt hatte, eingerahmt war. Almut trat näher und blickte interessiert darauf. Schwarzweiße, präzise gesetzte Striche, mit Bleistift ausgeführt, zeigten einen Mensch, der an einem Seil hing. Almut wusste sofort, dass die Zeichnung ihr Schicksal vorwegnahm und sie spürte eine ungeheure Erleichterung, dass sie Bogdans Plänen zuvorgekommen war. Als sie sich ein letztes Mal zu ihrem Liebhaber umdrehte, wusste sie, dass er ihr mit ein paar hastig hingeschmierten Zeichnungen einen letzten, unerwarteten Dienst erwiesen hatte. Das kaum wahrnehmbare Gefühl von Schuld, das sie gekonnt unterdrückt hatte, war verschwunden. Sie trat zur Tür, um hinauszugehen, doch plötzlich wurde sie von außen geöffnet.

Sechsundvierzig

    Ich sah Almut frontal ins Gesicht, doch sie blickte an mir vorbei. Mit erschreckend kalten Augen und unbewegtem Körper. Ich ließ die Türklinke los. »Almut …?!« Mir rutschte die vertrauliche Anrede einfach so heraus.
    Ich sah ihn sofort. Bogdan Ivanovic. Sein Gesicht zwischen hin und her wankenden Vögeln aus Stahl. Er hing bewegungslos im Hintergrund. Als Störung dieses Raums. Sein Leben baumelte an einem Haken, der in der Decke befestigt war. Ich schaffte es, ein sinnloses Schluchzen zu unterdrücken, stürzte auf ihn zu und machte mich an ihm zu schaffen. Doch so sehr ich seinen Körper auch mit beiden Händen umfing und verzweifelt versuchte, ihn hochzuheben, es

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