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Vom Himmel hoch

Vom Himmel hoch

Titel: Vom Himmel hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Branstner
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wenn es für Sie gewiß nicht ohne Interesse wäre zu erfahren, wie es einem Menschen ergeht, der ein Leben ohne allen Ärger lebt. Sobald ich mich an die etwas ungewöhnliche Rollenaufteilung gewöhnt hatte, wonach mein Nothelfer sich mit den Schwierigkeiten meines Daseins herumzuschlagen hatte, während ich ausschließlich dessen angenehme Seiten genoß, fühlte ich mich ungemein wohl und glaubte im Paradies zu leben. Allmählich ging in mir jedoch eine seltsame Veränderung vor sich. Ich begann mich zu langweilen, wurde meiner selbst überdrüssig und kam mit niemandem mehr zurecht. Und da auch meine Spannkraft merklich nachließ, wurde mein Chef mit meiner Arbeit immer unzufriedener und drohte mir Maßnahmen an. Zwar nahm mein Nothelfer allen Ärger auf sich, aber das konnte mir auch nicht helfen, im Gegenteil: Je häufiger er an meine Stelle treten mußte, desto merklicher ließ meine Spannkraft nach, was wiederum zur Folge hatte, daß mein Nothelfer noch häufiger an meine Stelle treten mußte. Mir wurde jetzt klar, wohin das endlich führen würde, doch ich hatte die Kraft verloren, mich dagegen zu wehren. Schwierigkeiten zu meistern, war ich ja gänzlich entwöhnt. Da kam mir ein Zufall zu Hilfe. Da ich mich schon lange nicht mehr ausstehen konnte, hatte ich auch seit langem nicht mehr in den Spiegel geblickt. Als ich nun gestern früh das Gebäude betrat, in dem ich arbeite, war im Treppenhaus statt des seit Jahren dort hängenden Gemäldes ein Spiegel angebracht, in den ich unversehens hineinblickte und aus dem mir ein ungeheuer kindisch gewordenes Gesicht entgegensah. Ich erschrak über diese Veränderung meines Aussehens so sehr, daß ich sogleich beschloß, den Arzt aufzusuchen. Da das jedoch zu den unangenehmen Dingen gehört, fand ich schließlich doch nicht die Kraft dazu und schickte meinen Nothelfer. Nur ist er, nachdem er seinen Auftrag erfüllt hatte, nicht zurückgekehrt. Das aber hat er noch nie getan, und ich fürchte, daß er, wenn Sie ihn nicht bald einfangen, Dinge tut, die nicht wiedergutzumachen sind.‹
    ›Haben Sie einen Grund zu dieser Annahme?‹ fragte der Beamte.
    ›Heute morgen‹, erklärte der Mann, ›kam mein Chef ganz aufgeregt ins Büro und behauptete, gestern abend habe ihm jemand die Fensterscheiben eingeschmissen. Mir kam sofort der Gedanke, daß mein Nothelfer das getan haben könnte.‹
    ›Und wie kamen Sie auf den Gedanken?‹ fragte der Beamte.
    ›Weil ich das schon immer tun wollte‹, sagte der Mann. ›Jedenfalls habe ich meinem Nothelfer gegenüber gesagt, daß ich meinem Chef ganz gern mal die Scheiben einschmeißen möchte. Selbstverständlich war das nicht ernst gemeint, und ich habe dem Nothelfer auch niemals dergleichen aufgetragen.‹
    ›Jeden Tag werden irgendwo Scheiben eingeschmissen‹, sagte der Beamte, ›da braucht es keinen Nothelfer. Ich sehe da nichts als ein zufälliges Zusammentreffen.‹
    ›Das dachte ich erst auch‹, sagte der Mann. ›Als aber gleich darauf mein Schwager anrief und davon berichtete, daß ihm, als er gestern abend nach Hause ging, jemand aufgelauert und ihn fürchterlich verdroschen habe, konnte ich nicht mehr an einen Zufall glauben.‹
    ›Wollen Sie damit sagen‹, fragte der Beamte sichtlich erheitert, ›daß Sie Ihren Schwager auch schon immer mal verdreschen wollten?‹
    ›Schon immer nicht‹, sagte der Mann, ›erst als mir klar wurde, was er mir mit dem Nothelfer angetan hatte.‹
    ›Das ist verständlich‹, sagte der Beamte, ›und welchen Ihrer gemeinen Wünsche, glauben Sie, wird Ihr Nothelfer als nächstes erfüllen?‹
    ›Meiner Frau den Hals umdrehen‹, sagte der Mann. ›Er hat mehr als einmal von mir zu hören bekommen, daß ich das liebend gern mal tun möchte. Wenn mich nicht alles täuscht, dreht er ihr den Hals noch heute um.‹
    ›Sollen wir da nun eingreifen‹, fragte der Beamte, ›oder sollen wir warten, bis Ihr Wunsch in Erfüllung gegangen ist?‹
    ›Das wäre mir äußerst unangenehm!‹ rief der Mann. ›Oder glauben Sie, ich wäre sonst zu Ihnen gekommen? Gewiß hätte ich meine Frau manchmal am liebsten umgebracht, aber ohne sie würde mir doch etwas fehlen. Ich hasse Einsamkeit. Ehe ich allein durchs Leben gehe, gehe ich lieber zur Polizei.‹
    ›Sehr ehrenwert‹, sagte der Beamte.
    ›Obwohl das etwas sehr Unangenehmes für mich ist‹, sagte der Mann. ›Und die Fähigkeit, Unangenehmes zu tun, habe ich fast völlig eingebüßt. Aber der Verlust meiner Frau wäre mir noch

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