Vom Himmel hoch
Sicherungsstaffel. Lediglich die
Industriestraße war bereits angelegt, führte aber durch ein leeres Gelände.
Erich Schimkowski schlurfte hinter seiner Gehhilfe
her. Er war zwar erst Anfang sechzig, aber seit dem Schlaganfall vor sieben
Jahren zog er nicht nur das linke Bein nach, sondern hatte auch Probleme beim
Sprechen. Nur mit Max Kohl, seinem langjährigen Kollegen, hatte er noch
regelmäßigen Kontakt, seit Erichs Frau ihn bald nach seiner Erkrankung
verlassen hatte. Max wohnte in der parallel verlaufenden Mommsenstraße, die
ebenfalls mit den charakteristischen roten Backsteinhäusern bebaut war. Erich
Schimkowski hatte den trotz seiner siebzig Jahre immer noch vitalen Max besucht
und über die »gute alte Zeit« geplaudert. Damals, als man in Husum noch »unter
sich war«.
Als er nach dem Krieg mit seiner Mutter aus Schlesien
hierher kam, war Husum eher eine verschlafene Kleinstadt gewesen. Der Ort
dämmerte vor sich hin, bot wenig Reiz für die damals noch raren Touristen und
diente als zentraler Flecken lediglich dem Umland als Anziehungspunkt. Auch die
Bedeutung als Kreisstadt war auf einen Bruchteil des heutigen Gebietes bemessen
und konkurrierte mit Tönning und Niebüll. Anstelle der heute herausgeputzten
Kleinode wirkte vieles eher dem Verfall preisgegeben. Im Schlossgang trennte
eine triste rote Ziegelmauer die Straße von der hinter dem alten Rathaus
liegenden Brauerei, das Schloss dämmerte in einer Art Dornröschenschlaf vor
sich hin, nicht restauriert und ohne den heute markanten Turmaufsatz. Vom
Binnenhafen dröhnte der Lärm der Schiffswerft über das Stadtzentrum. Bis heute
beobachtete Erich voller Faszination, wie die Schiffe bei Ebbe auf dem
Hafenschlick auflagen und sich der ganze Hafen den staunenden Touristen als
einziges großes Matschloch präsentierte.
Heute residierte im ehemaligen Gymnasium eines der
besten Hotels des Landes. Der erste Versuch, in Husum ein überregional
anerkanntes Haus zu etablieren, war gescheitert. Die alten Husumer hatten sich
schlichtweg geweigert, das ihrer Meinung nach »viel zu vornehme« Café im
Parkhotel zu betreten.
Ach ja, die gute alte Zeit. Erich Schimkowski blickte
auf. In der Ludwig-Ohlsen-Straße gab es keine Fußwege. Die durch Büsche und
niedrige Anpflanzungen von den Rasenflächen vor den Häusern abgetrennte Straße
stand Autos und Fußgängern gleichermaßen zu. Es waren nur noch wenige Meter.
Dann war er zu Hause.
Plötzlich erhielt er genau zwischen die
Schulterblätter einen furchtbaren Stoß. Er flog nach vorn, versuchte, sein
gelähmtes Bein vorzuziehen, fiel stattdessen aber auf seine Gehhilfe. Er wollte
sich mit beiden Händen abzustützen, aber der Stoß war zu heftig gewesen und zu
überraschend gekommen, sodass Erich Schimkowski erst mit der Hüfte, dann mit
dem Oberkörper auf das Metallgestell schlug. Der kleine Wagen stürzte nach
links um und riss ihn mit. Er blieb kopfüber in einer der Hecken liegen. Sturz
und Schreck hatten ihm den Atem geraubt. Er rang nach Luft, und nur mühsam
gelang es ihm, Sauerstoff in die Lungen zu pumpen. Im Unterbewusstsein
registrierte er, wie jemand in seine Sakkotasche griff. Doch viel schlimmer war
der Schmerz, der Erich Schimkowski jetzt erfasste. Die Welle brandete durch den
ganzen Körper. Er konnte nicht sagen, wo es am meisten wehtat.
*
Nachdem Christoph sich von Große Jäger verabschiedet
hatte, war er direkt zur Dienststelle gefahren. Dort fand er eine Nachricht
vor, dass er sich mit Hauptkommissar Jürgensen von der Kriminaltechnik in
Verbindung setzen sollte.
Es war die übliche Prozedur. Der kleine Glatzkopf
eröffnete das Gespräch mit der ihm eigenen Mischung aus Niesen und wüsten
Beschimpfungen über die Leute von der Westküste.
Christoph bemerkte Jürgensens Enttäuschung darüber,
dass er ihm nicht energisch widersprach, sondern den Wortschwall von der
Flensburger Förde über sich ergehen ließ.
»Wir haben das Passwort auf Banzers Notebook
geknackt«, leitete der tüchtige Kriminaltechniker zum eigentlichen Anlass
seines Anrufs über. »Dort findet sich ein Dossier über die einzelnen
Mitarbeiter. Ich habe mir gedacht, dass es dich interessieren könnte.«
»Klasse. Ihr habt euch wieder einmal selbst
übertroffen.«
»Schon gut«, wehrte Jürgensen ab. »Ach, was ich noch
ergänzen wollte: Ich bin im Augenblick sehr beschäftigt und habe leider keine
Zeit, mit Kriminalrat Starke oder der Dobermann darüber zu sprechen, dass ich
auch euch die Informationen zukommen
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