Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Himmel hoch

Vom Himmel hoch

Titel: Vom Himmel hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
Vom Netzwerk:
ungefähr, wann es war?«
    »Ich sagte bereits«, bemerkte sie spitz, »dass es
ziemlich spät war. Viertel nach zehn.«
    »Kannten Sie den Besucher?«
    Jetzt entrüstete sie sich. »Junger Mann. Ich war in
meiner Nachtkleidung gewandet. In dieser Aufmachung kann man anderen Leuten
nicht unter die Augen treten.« Sie wählte wirklich diese Formulierung.
    »Vielleicht haben Sie Stimmen gehört.«
    »Nein! Es wurde kein Wort gewechselt. Zumindest habe
ich nichts gehört. Ich muss dazu sagen, dass meine Ohren nicht mehr die besten
sind. Also, wie gesagt, es wurde nicht gesprochen.« Als hätte sie Christophs
Gedanken geahnt, fuhr sie von sich aus fort: »Ich habe auch bei einem Blick
durch den Gardinenspalt nicht erkennen können, wer der Besucher war. Aber es
war eine Frau«, empörte sie sich.
    »Sind Sie sich da so sicher?«
    »Ich werde doch eine Frau von einem Mann unterscheiden
können. Eine große Frau. Und dabei war Damenbesuch ausdrücklich verboten.«
    »Und von Ihrem Mieter haben Sie danach nichts mehr
gehört oder gesehen?«
    »Nein! Das verwundert mich auch nicht. Schließlich
hatte ich ihm gleich beim Einzug gesagt, dass abends nach der Tagesschau Ruhe
im Hause zu herrschen habe. Und daran hat er sich gehalten. Eigentlich war er
ein feiner Mensch. Ruhig. Zurückhaltend. Sauber. Nie gab es Grund zur
Beanstandung. Keine Besuche, kein Lärm, keine Frauen – bis auf gestern.« Sie
überlegte einen Moment. »Nur mit der Miete hatte er es in der letzten Zeit
nicht so genau genommen. Im Unterschied zum Beginn seiner Zeit in meinem Haus,
als er die Zuverlässigkeit in Person war, überwies er in der jüngsten
Vergangenheit die Miete nicht mehr pünktlich. Sie kam unregelmäßig, manchmal
auch erst, nachdem ich ihn daran erinnert hatte. Dabei hat er auf mich nie den
Eindruck gemacht, als würde er sein Geld mit Frauen oder Alkohol durchbringen.
Oder gar spielen«, malte sie alle ihr momentan einfallenden menschlichen Laster
an die Wand. »Ach, er war so ein feiner Mensch.« Es klang aus ihrem Mund fast
wie ein hinterhergerufener Segen.
    »Das sollte jetzt reichen«, mischte sich Dr.
Hinrichsen ein.
    Sie gingen durch den kleinen Flur zur Tür des
altmodischen Badezimmers und blieben unter dem Rahmen stehen.
    In einem weißen Anzug bewegte sich Hauptkommissar
Jürgensen vom Erkennungsdienst vorsichtig in dem engen Raum.
    Er sah kurz auf, als er Christoph und den Arzt
gewahrte.
    »Ist das jetzt Beschäftigungstherapie?«, knurrte der
kahlköpfige Mann. »Die zur Leiche mutierte Kreatur hat meine volle Sympathie«,
lästerte er weiter. »Wer dazu verdammt ist, an der Westküste zu leben, für den
bedeutet das Überschreiten der Grenzlinie eine wahre Erlösung. Aus
unerfindlichem Grund werden die Menschen in Nordfriesland überdurchschnittlich
alt. Das ist nicht nur hinterhältig gegenüber der Solidargemeinschaft der
Beitragszahler, sondern auch noch dumm, weil sie damit ein paar zusätzliche
Lebensjahre in dieser Einöde verbringen müssen.«
    Christoph kannte den kleinen Kriminaltechniker inzwischen
gut genug, um zu wissen, dass seine während der Arbeit ausgestoßenen
Verwünschungen nichts anderes als ein Ventil zum Abbau der inneren Spannungen
waren. Der tüchtige Mann kompensierte über diesen Weg die häufige Begegnung mit
dem Tod in seinen schrecklichsten Erscheinungsformen.
    Auffällig war auch, dass Jürgensen, dessen Dasein
sonst nur aus Niesen und Schnauben zu bestehen schien, diese Reflexe am Tatort
sorgfältig unterdrückte, um nicht die kleinste eventuell auffindbare Spur zu
verfälschen.
    Christoph sah auf die Badewanne, in deren blutrot
gefärbtem Wasser der Tote lag.
    Der Mann war seltsam eingeknickt, als wäre er kraftlos
in sich zusammengesunken. Merkwürdig zur Seite gebeugt lag der Kopf mit den
glasigen Augen, die noch niemand geschlossen hatte, noch oberhalb der
Wasserlinie.
    »Darf ich?«, fragte Dr. Hinrichsen den
Kriminaltechniker und fasste Jürgensens Knurren als Zustimmung auf.
    Der Doktor streifte sich Latexhandschuhe über und
drehte den Kopf vorsichtig zur anderen Seite. Jetzt sah Christoph die klaffende
Wunde an der linken Halsseite.
    »Ein laienhaft ausgeführter Schnitt an der
Halsschlagader«, erklärte der Mediziner. »Der erste Schnitt wurde quer geführt,
der zweite in Längsrichtung. Wer auch immer das getan hat, verstand aber
immerhin so viel davon, dass – wie bei den Pulsadern – ein Längsschnitt in
Richtung des Aderverlaufes mehr Erfolgsaussichten verspricht. Das

Weitere Kostenlose Bücher