Vom Himmel hoch
weiteren Treffen
mit der Arzthelferin zugestimmt hatte.
Vorhin hatte Mommsen vom neuen Überfall des
»Schubsers«, wie sie ihn jetzt nannten, berichtet. Jetzt saß Christoph wieder
über dem von Banzer angefertigten Dossier.
Mommsen telefonierte im Hintergrund. Mit halbem Ohr
bekam Christoph mit, dass es sich um einen Einbruch in Schwabstedt handelte.
Große Jäger fluchte leise vor sich hin und wühlte im Durcheinander seiner
Papiere auf dem Schreibtisch, als Christophs Telefon klingelte.
»Grothe«, vernahm Christoph die markante Stimme des
Polizeidirektors. »Wir haben eben den Anruf einer alten Dame erhalten, die
einen Toten gefunden hat. Die Streife ist bereits vor Ort. Es sieht so aus, als
würde keine natürliche Todesursache vorliegen. Deshalb möchte ich Sie bitten,
sich der Sache anzunehmen. Die Flensburger Kollegen sind bereits verständigt.«
Der Leiter der Polizeiinspektion nannte Christoph den Fundort des Toten und
legte ohne ein weiteres Wort auf.
»Es gibt einen weiteren Toten«, erklärte Christoph
seinen beiden Kollegen.
»In Bredstedt«, sagte der Oberkommissar.
Christoph sah ihn an. »Wie kommst du darauf?«
»Wo sonst in diesem friedlichen Landstrich liegen irgendwelche
Leichen herum?«, brummte Große Jäger und stand auf. »Also los, auf geht’s.«
*
Die alte Frau saß auf der vorderen Kante des
Holzstuhls. Die dünnen, schlohweißen Haare gaben den Blick auf ihre mit
Pigmentflecken übersäte Kopfhaut frei. Das faltige Gesicht mit der markanten
Adlernase war ungesund grau.
Mit ihrer hohen Greisinnenstimme wiederholte sie
ständig: »In meinem Alter habe ich schon oft den Tod gesehen. Im Laufe eines langen Lebens wird er zwar kein guter Freund, aber ein vertrauter Bekannter.
Aber so etwas …«
Dr. Hinrichsen warf dem neben ihm stehenden Christoph
einen schnellen Blick zu.
»Sie können jetzt kurz mit ihr sprechen, aber bitte
wirklich nur einen Moment«, sagte er.
»Sie haben den Toten gefunden? Meinem Kollegen haben
Sie erzählt, dass er Mieter bei Ihnen war.«
Sie nickte und sah Christoph aus müden Augen an.
»Dies ist unser Elternhaus. Ich habe meine Wohnung im
Obergeschoss, unten lebte bis vor zwei Jahren meine Schwester. Dann ist sie in
eine andere Welt übergewechselt«, umschrieb die alte Frau den Tod. »Ich habe
die Wohnung daraufhin vermietet. So, wie meine Schwester sie hinterlassen
hatte. Das war Bedingung«, erklärte sie mit einer überraschenden Bestimmtheit.
Christoph sah sich im Zimmer um. Es war in der Tat die
muffig wirkende Einrichtung vergangener Tage. Obwohl er mit Sicherheit kein
Staubkorn finden würde, wirkten das dunkle Holz, die von vergangenen
Generationen übernommenen Accessoires, die unmodernen Teppiche im Einklang mit
den düsteren Gardinen wie unter einer dicken Schicht Patina liegend.
Das musste eine Strafe für den Mieter gewesen sein, in
dieser Umgebung leben zu müssen.
Wie um jenen Eindruck zu bekräftigen, fuhr die Greisin
fort: »Ich habe sorgfältig darauf geachtet, dass meine Bedingungen eingehalten
wurden.«
»Wie haben Sie den Toten gefunden?«, setzte Christoph
die Befragung fort.
Ȁltere Menschen kommen mit weniger Schlaf aus, sodass
ich jeden Tag den Ablauf in der unteren Wohnung mitbekam.«
Mit zittriger Hand griff zu einem Wasserglas und
nippte vorsichtig am Rand.
»Heute hat er die Wohnung nicht wie gewohnt verlassen.
Außerdem war das Oberlicht noch geöffnet. Ich hatte bereits beim Einzug darauf
hingewiesen, dass beim Verlassen der Räume alle Fenster einschließlich der
Oberlichter zu schließen sind. Und das war heute nicht geschehen. Als sich
niemand auf mein Klingeln und Rufen hin in der Wohnung meldete, habe ich den
Zweitschlüssel geholt und nach dem Rechten gesehen. Und dabei habe ich den
Toten gefunden.«
Sie bewegte ihre mageren Schultern, als würde sie dadurch
das Erlebte abstreifen können.
Nicht nur das Leben in dieser düsteren Umgebung war
eine Zumutung, es wurde auch noch verschärft durch die Überwachung durch eine
alte Frau, deren einziger Lebensinhalt nur noch in der Kontrolle ihrer engsten
Umgebung zu bestehen schien, dachte Christoph.
»Haben Sie etwas angefasst oder beiseite geräumt?«,
fragte er.
Sie sah ihn fast böse an. »Natürlich nicht.«
»Ist Ihnen sonst irgendetwas Ungewöhnliches
aufgefallen?«
Zu seiner großen Überraschung bestätigte sie dieses.
»Ja. Mir ist in der Tat etwas aufgefallen. Da war
gestern Abend ein Besucher. Es war schon sehr spät.«
»Wissen Sie
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