Vom Himmel hoch
Stube«.
Schönborn bewohnte ein Reihenhaus am Rüschhausweg in
Gievenbeck, einem gutbürgerlichen Wohnviertel mit einigen sozialen Brennpunkten
am Rande.
Es war ein unauffälliges Gebäude mit weißer
Putzfassade, das sich in nichts von den Nachbarhäusern abhob. Ein schlichtes
Namensschild zeigte ihm, dass er die richtige Adresse gefunden hatte.
Große Jäger drückte auf den Klingelknopf und räusperte
sich noch einmal.
Obwohl man schon mit Schönborns Frau telefoniert
hatte, gehörte die erste Begegnung mit den Hinterbliebenen immer wieder zu den
unangenehmen Aufgaben seines Berufes.
Eine unscheinbar wirkende Frau, vielleicht Ende
dreißig, öffnete. Ihre verquollenen, rot geränderten Augen zeigten dem
Oberkommissar, dass sie schon Bescheid wusste.
Er hielt ihr seinen Dienstausweis hin und murmelte: »Große Jäger, Kripo Husum.«
Sie nickte. »Kommen Sie herein.« Sie führte ihn ins
Wohnzimmer. Er nahm ihr gegenüber Platz.
»Man hat mich schon informiert«, nahm sie ihm den
schwierigen Gesprächseinstieg ab.
Er murmelte eine Beileidsformel, bevor er vorsichtig
mit seinen Fragen begann.
Zunächst erzählte sie zurückhaltend, dann sprudelte es
aus ihr heraus.
Ihr Mann hatte immer ein gutes Einkommen erzielt. Aber
dann hatte ihn ein Strudel erfasst. Für ihn nicht erkennbar hatte sich die
Technologie gewandelt. Er hatte es versäumt, sich um die neuen Trends zu
kümmern. Sein Wissen, seine Erfahrung waren nicht mehr zu jedem Preis gefragt.
Als ihn dann auch noch der konjunkturbedingte Nachfrageeinbruch überraschte,
mussten die Schönborns sich plötzlich zur Decke strecken. Für ihn war der
Auftrag in Bredstedt ein Strohhalm gewesen, der er sofort ergriffen hatte.
Ihm war klar, und er hatte auch mit seiner Frau
darüber gesprochen, dass ihm wenig andere Möglichkeiten blieben als der Auftrag
beim »Friesischen Metallbau«.
Da bedeutete es natürlich einen nochmaligen Einschnitt
in den Lebensstandard, als der Auftraggeber das ohnehin nicht üppige Honorar um
einen erheblichen Prozentsatz gekürzt hatte.
An dieser Stelle unterbrach Frau Schönborn ihre
Erzählung, kramte umständlich nach einem Papiertaschentuch tupfte sich die
Augen damit ab.
»Geld«, erklärte sie dann, »ist doch nicht alles auf
dieser Welt. Und trotzdem wird man ohne es in eine Ecke gestellt, aus der man
nur schwer wieder rauskommt. Wie ein Stigma war es für die Familie, dass
plötzlich Dinge nicht mehr möglich waren, die zuvor als selbstverständlich
galten. Insbesondere die Kinder wollten nicht verstehen, dass wir uns plötzlich
einschränken mussten. Auch im Bekanntenkreis reagierte mancher verständnislos.«
Große Jäger nickte stumm.
»Kurt ist in letzter Zeit oft am späten Abend
depressiv heimgekommen. Früher hat er häufig über seine Arbeit gesprochen, doch
in letzter Zeit erzählte er immer weniger. Darüber habe ich mich schon
gewundert. Einmal, ein einziges Mal, hat er mir sein Herz ausgeschüttet und bis
spät in die Nacht hinein von der Situation beim Kunden berichtet. Er klagte
über den Umgang der Angestellten untereinander. So etwas, hatte er gemeint,
wäre ihm in seiner ganzen beruflichen Laufbahn noch nicht begegnet. Aber daran
müsse man sich wohl gewöhnen in Anbetracht des immer härter werdenden
Konkurrenzkampfs. Niemand konnte sich mehr seiner Position sicher sein. Es
würde mit harten Bandagen, vor allem aber hinterrücks, um jeden Fußbreit Boden
gerungen. Das war nichts für Kurt. Aber er stand mitten im Feld, wurde
hineingezogen in die Grabenkämpfe. Dieser stellvertretende Leiter, Banzer, hat
ihn erpresst.«
Sie redete sich in Rage. »Nicht nur, dass er das
Honorar gekürzt hat, nein … Mein Mann musste auch heimlich Eingriffe in die
Software vornehmen. Banzer hat ihn genötigt, die privaten Mails der
Angestellten, die diese über den Firmencomputer abwickelten, anzuzapfen und
eine Kopie davon für ihn abzuzweigen.«
»Aha, daher.«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Entschuldigung. Aber das erklärt einiges. Wir haben
uns gewundert, woher der ermordete Harald Banzer so detailreiche Kenntnisse
über das Privatleben der anderen Mitarbeiter hatte.«
Die Frau senkte schuldbewusst den Kopf.
»Kurt hat das nicht freiwillig gemacht. Er ist dazu
gezwungen worden. Hätte er nicht mitgemacht, wäre er den Auftrag los gewesen. Das
hätte für uns das Ende bedeutet. Unsere Rücklagen sind längst aufgebraucht, und
für einen Selbständigen gibt es keine unterstützende Institution wie zum
Beispiel das
Weitere Kostenlose Bücher