Vom Himmel in Die Traufe
Schlosshotel Haiko oder einem nahe gelegenen Ort, um dir mitzuteilen, wohin du deine Antwort und neue Instruktionen schicken kannst.
In ständiger Sehnsucht, dein dich liebender Onkel
Ragnar.«
9
Lena Lundmark rief am nächsten Tag im Schlosshotel Haiko an, wo das Duo gerade Quartier bezogen hatte.
»Du alter Esel!«, eröffnete sie das Gespräch mit ihrem Onkel. Sie warf Ragnar vor, zugelassen zu haben, dass Hermanni Heiskari schweinigelte.
»Wir hatten vereinbart, dass du als Reiseleiter fungierst und in bestmöglicher Weise dafür sorgst, dass Hermanni sich anständig benimmt. Mein ausdrücklicher Wunsch war, dass du ihm gute Manieren beibringst und ihn gleichzeitig im Auge behältst. Und was hast du bewirkt?«
Ragnar versuchte seine Position zu verteidigen und erklärte, dass Herr Heiskari ein eigensinniger Mann sei und gute Ratschläge nicht so ohne Weiteres befolge.
»Ein Schlappschwanz bist du, und außerdem eine verdammte Schwuchtel. Lass ja deine Finger von Hermanni.«
»Bitte nicht unter Niveau, liebe Lena. Ich hätte ansonsten auch dies und das über dich anzumerken, falls du geschmacklos wirst.«
Lena entschuldigte sich für ihr Aufbrausen. Dann diktierte sie ihre Anweisungen. Die beiden Gefährten sollten unverzüglich nach Lappland zurückkehren und die Tour erneut starten. Jetzt hieß es, die Manieren zu verbessern, Schweinereien wurden nicht mehr geduldet.
»Sollte Hermanni nicht gehorchen, dann sag ihm, dass er in diesem Falle seiner Wege gehen und wieder in seine Hütte zurückkehren kann, um für den Rest seines Lebens durch sein Guckloch von Fenster auf den stinkenden künstlichen See zu starren. Mach ihm ein für alle Mal klar, dass es so wie bisher nicht läuft. Ich bezahle keinem Mann seine Huren, das muss auch er kapieren.«
Ragnar erkundigte sich nach Lenas Befinden. Der Nichte ging es schon viel besser, auch wenn sie weiterhin eine Krücke benötigte. Sie kündigte an, vielleicht später zum Herbst hin Hermanni und Ragnar zu besuchen. Bis dahin sollte Hermannis Erziehung schon gute Fortschritte gemacht haben.
Als sie aufgelegt hatte, dachte Ragnar gekränkt, was für ein strenges Weib seine Nichte doch war. Schrie und schimpfte und kommandierte ihren älteren Verwandten herum. Hermanni würde eine rechte Kratzbürste abbekommen. Mitleid hatte Ragnar allerdings nicht, jeder musste sein Kreuz selbst tragen.
In Helsinki besorgte Ragnar Flugtickets nach Kemi, und dann holte er Hermanni zum Kleiderkauf ab. Sie erwarben für ihn ein Jackett und zwei Paar Hosen, dazu Schuhe, Hemden und Krawatten. Im Lederwarengeschäft Navara kauften sie einen Koffer.
Dort drinnen im Laden erzählte Hermanni eine Geschichte vom spanischen Bürgerkrieg, an dem auch der Schmucke Jussi – das Idol aller fliegenden Gesellen des Nordens – auf- seiten der Republikaner teilgenommen hatte.
»Ich glaube, es war die Provinz Navarra, dort fand ein großer Kampf statt, in dem die finnischen Freiwilligen fast bis zum letzten Mann fielen. Nur einige wenige kamen davon, indem sie den Feind aufhielten, damit die internationale Brigade den Rückzug antreten konnte und so der Vernichtung entging.« Der Schmucke Jussi hatte erzählt, dass diese letzten Helden dafür mit Urlaub in Barcelona belohnt worden waren, aber sie hatten angefangen zu saufen, und als sie wieder in ihre Einheit zurückgekehrt waren, hatten sie randaliert. Ein französischer Offizier hatte daraufhin das Todesurteil über die Männer verhängt, und sie waren auf der Stelle erschossen worden.
Ragnar Lundmark hatte ebenfalls von dem Fall gehört, hatte aber bisher nicht gewusst, dass auch der Schmucke Jussi am spanischen Bürgerkrieg teilgenommen hatte. Und wieso hatte der dann jene Hinrichtung überlebt?
Hermanni erklärte, dass Jussi, betrunken wie er war, im Freudenhaus in Barcelona übernachtet hatte und nicht rechtzeitig in der Kompanie zurück gewesen war, um erschossen zu werden. Er hatte vom Schicksal seiner Kameraden erst am folgenden Tag erfahren.
»Der Schmucke Jussi hat erzählt, dass bei diesem schlimmen Ereignis sogar die Geier weinten, auch sie hatten einen Kloß in der Kehle, als die finnischen Helden erschossen wurden.«
Hermanni Heiskari hätte sich am liebsten einen protzig wirkenden schwarzen Lederkoffer gekauft, der an den Kanten mit goldfarbenen Metallplatten beschlagen war, aber Ragnar Lundmark riet ab. Der Koffer war zwar groß und repräsentativ, aber gerade so ein Modell sollte sich der reiselustige Gentleman
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