Vom Himmel in Die Traufe
Selbsterziehung betreiben, außerdem sollen sie ganz praktisch dazu verpflichtet werden, den Feind zu beobachten und über dessen Aktivitäten zu berichten.«
Unter den Feinden, also den Gegnern des Volksaufstandes, waren laut Hermanni natürlich die Arbeitgeber zu verstehen, all jene Unternehmer, die ihre Fabriken automatisierten und die Arbeiter wegrationalisierten. Das Kapital schafften sie bei jeder passenden Gelegenheit ins Ausland, und das arme Volk ließen sie kaltschnäuzig leiden. Die Arbeitslosen waren überflüssig. Ein Bauer schlachtet seine Kuh, und ein Fabrikant entlässt seinen Angestellten. Es ist dasselbe, beides gleich schlimm.
Die Zellen der Arbeitslosen würden damit beginnen, jene teuflischen Bosse zu beobachten, ganz im Stil der Geheimpolizei in der Zarenzeit. Das wäre spannend und sehr wirkungsvoll. Industrielle, Spekulanten, Erbschleicher, Sanierer und Finanzhaie würden in drei Schichten beobachtet, unablässig, Tag und Nacht. Permanent würde ihnen ein Schatten folgen. Diese grausame und wortlose Bedrohung würde sie binnen Kurzem nervlich ruinieren.
»Man stelle sich vor, so ein feiner Pinkel kommt abends aus dem Büro nach Hause, und hinter dem Gartenzaun der Villa steht im Schneefall ein einsamer verbitterter Arbeitsloser, dessen Zigarette in der Dunkelheit glüht. In der Nacht wird der Bewacher ausgetauscht, und morgens, wenn der Ausbeuter zur Arbeit fahren will, verraten die Fußspuren im Schnee, dass der Beobachter durchs Fenster ins Haus gelugt hat, die ganze Nacht hindurch.«
Hermanni Heiskari trank erregt von seinem Courvoisier. Er behielt den Kognak lange auf der Zunge, ehe er ihn hinunterschluckte.
Sechs Damen drängten schwatzend ins Restaurant, allesamt sympathisch und offenbar aus demselben Betrieb, da sie einander gut kannten. Sie bestellten sich Kaffee und dazu einen Likör. Als sie das Bestellte erhalten hatten, prosteten sie sich eifrig zu. Hermanni und Ragnar schnappten einzelne Worte und sogar ganze Sätze ihres Gesprächs auf. Die Frauen schienen sich über die Arbeitslosigkeit zu unterhalten, worüber auch sonst. Eine von ihnen äußerte sich verwundert darüber, dass es in Finnland wegen der furchtbaren Massenarbeitslosigkeit noch nicht geknallt hatte. Darauf meinte die Älteste in der Gruppe, dass es zum Aufstand kommen werde, wenn sich nichts ändere.
»Es gibt Krieg, lasst euch das gesagt sein.«
»Ist es nicht schrecklich, wenn anständige Menschen nach Brot anstehen müssen? Genau wie in Russland oder irgendwo in Ruanda. Denkt nur!«
»Darauf trinken wir!«
»Auch Heikki, mein Mann, wurde letzte Woche entlassen. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie wir klarkommen sollen. Aber reden wir nicht mehr davon.«
Ragnar entwickelte ein so reges Interesse an dem Gespräch, dass er zur Toilette ging und auf dem Rückweg bei den Frauen stehen blieb, um ein wenig mit ihnen zu plaudern. Als er wieder Hermanni gegenüber Platz genommen hatte, erzählte er:
»Sie sind Unternehmerinnen aus der Parfümeriebranche, kommen aus dem mittleren Ostbottnien, aus Kokkola und Umgebung, und suchen auf der gemeinsamen Reise nach neuen Impulsen für ihre Führungstätigkeit.«
Als die Frauen das Restaurant verlassen hatten und in ihren Bus gestiegen waren, referierte Hermanni weiter über den Plan für seinen Aufstand.
»Man könnte ohne Weiteres Zigtausend solcher Zellen zum Spionieren einsetzen. In Finnland haben wir fünfzigtausend sogenannter Kasinokapitalisten, also könnte man jedem von ihnen ein eigenes Beschatterteam verpassen, das sein Opfer Tag und Nacht beobachtet.«
Ragnar Lundmark wurde klar, dass das zumindest lange Wartelisten für Magenoperationen zur Folge hätte. Der Katarrh würde Finnlands reiche Herren plagen, bei den Opfern der Bespitzelung würden die Magengeschwüre aufbrechen. Er konnte sich gut vorstellen, welche Wirkung diese Form des Kampfes hätte. Hatten nicht gerade die Nazis in den Dreißigerjahren diese Art von psychischem Terror gegenüber den Juden angewandt? Bald darauf wurden dann die Schaufensterscheiben der jüdischen Geschäfte eingeschlagen, und die Familien wurden in Viehwaggons gepfercht und in Konzentrationslager transportiert, wo man sie tötete. Noch bedrohlicher war die Geheimpolizei der Sowjetunion gewesen, überall in dem Riesenstaat hatte es nur so von ihren Spitzeln gewimmelt. Kein Wunder, dass dieses Vorgehen zu einem Weltkrieg geführt hatte.
Hermanni Heiskari gab zu, dass seine Idee nicht neu war. Die Methode war lediglich
Weitere Kostenlose Bücher