Vom Himmel in Die Traufe
schonender, obwohl es sich natürlich um Psychoterror handelte, sofern man denn dieses hässliche Wort benutzen wollte. Aber wenn man in den Kampf zog, war jedes Mittel erlaubt, oder besser gesagt, man durfte auch zu ungesetzlichen Mitteln greifen.
»Krieg ist hässlich und vulgär. Helden sind nur die, die am Leben bleiben und denen es gelingt, sich aus den Konflikten herauszuhalten«, ließ er verlauten. »Bei meinem Plan wird das ganze System auf den Kopf gestellt. Momentan überwacht uns der große Bruder …, die Armee, die Polizei, der Arbeitgeber, die Kirche, die Rentenanstalt, die Sozialbehörde, das Kapital, das Geld, die Herren …, und ich finde, dass endlich mal die Arbeitslosen an der Reihe sein sollten, den großen Bruder zu überwachen.«
Ragnar gab zu bedenken, dass die »Herren« die Möglichkeit hätten, die Polizei einzuschalten, oder zumindest könnten sie private Sicherheitsleute engagieren, die all die Spione aus ihren Vorgärten verscheuchen und wieder in die Brotschlangen zurückjagen würden.
Hermanni schnaubte, dass die Polizei gegen Hunderttausende Arbeitslose machtlos wäre, selbst wenn der gesamte Polizeiapparat auf die Straße geschickt würde. Und die Sicherheitsleute hätte man so schnell weggefegt wie leichten Staub, wenn erst mal alles richtig liefe. Ein paar Dutzend handfester Arbeitsloser hätten jene bezahlten Leibwächter rasch weichgeklopft, eine reine Aufwärmübung.
»Und Motorradgangs?«
Hermanni fand, dass es zu wenige solcher Gangmitglieder gab, außerdem waren auch die seines Wissens längst arbeitslos und vom Hass auf die Herren durchdrungen.
Ragnar Lundmark ahnte, was das Ergebnis des »Überwachungsterrors« sein würde. Die davon betroffenen »Herren« würden das Land verlassen, und zugleich würde sich das Kapital aus Finnland zurückziehen. Ein unglaubliches Chaos würde entstehen. Aber das war wohl eines der Ziele von Hermannis Plan?
»Die Geldleute und das Kapital würden flüchten, das ist klar. Aber jene, die bleiben würden, wären brave Kerle, und die Arbeitslosen könnten ihnen ihre Bedingungen diktieren. Und garantiert würde sich wieder Arbeit finden. Die Sanierer würden auf einmal erkennen, welche Menge an unerledigter Arbeit es gab.«
Hermanni war der Überzeugung, dass sich anstelle der ehemaligen Herren rasch und mühelos neue finden würden. Es gab genug Interessenten, die herrschaftlich leben wollten, unabhängig davon, ob die Zeiten unruhig waren oder nicht. Das Kapital kehrte stets zurück, es verschwand nicht, sondern machte nur mal einen Ausflug in die Welt, um auf bessere Zeiten zu warten. Wenn sich die Situation änderte, wäre das Geld im Bruchteil einer Sekunde wieder da und würde das Land überschwemmen.
»So einfach sind die Pläne, die ich habe«, resümierte er und starrte nachdenklich in sein Kognakglas.
Ragnar Lundmark musste zugeben, dass Hermannis Pläne tatsächlich einfach waren. Bei näherem Nachdenken wurde ihm kalt ums Herz. Die Zeit, da die Arbeitslosen Abordnungen entsandten, war tatsächlich vorbei. Außerdem war Napoleon Korporal gewesen, Hitler ebenfalls, Stalin ein Priesteranwärter, aber Hermanni war immerhin ein Herr Unteroffizier.
In diesem Augenblick explodierte in der Küche des Restaurants ein Druckkessel, die Fenster flogen in den Regen hinaus, und der entsetzte Koch und seine Gehilfen rannten quer durchs Restaurant ins Freie, gefolgt von einer dicken Rauchwolke. Hermanni Heiskari und Ragnar Lundmark betrachteten also ihre Mahlzeit als beendet. Als sie die Rechnung bezahlt hatten, zogen sie sich gedankenvoll zur Nachtruhe in ihre Zimmer zurück.
13
Den nächsten Rapport an seine Nichte Lena wagte Ragnar Lundmark nicht zu faxen, denn womöglich hätte ihn ein Unbefugter gelesen. So beschloss er also, die Zeilen als Einschreiben nach Maarianhamina zu schicken.
»Tankavaara, 15. 7.
Liebe Lena!
Bestimmt wunderst du dich, warum ich dir dieses Mal kein Fax geschickt habe. Der Grund ist, dass dieser Brief Dinge enthält, die im schlimmsten Falle als Landesverrat angesehen werden könnten. Während des Krieges stand darauf die Todesstrafe, wie du als Generalstochter sehr genau weißt. Bewahre diese Zeilen also nicht auf, sondern verbrenne sie, sowie du sie gelesen hast.
Deinen Anweisungen entsprechend sind wir wieder nach Lappland zurückgekehrt, momentan weilen wir im Goldgräberdorf Tankavaara (Reiseroute und Quittungen liegen bei). Das Quartier ist bescheiden, aber sonst wirkt dieses Touristenzentrum
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