Vom Himmel in Die Traufe
hatte. Akseli war insofern ein unangenehmer Zeitgenosse, als er die Reusen anderer inspizierte, sich dies und das aneignete, was er gebrauchen konnte, seine Nachbarn im Wald belauerte und beobachtete und seine Langfinger mal hier und mal da benutzte. An sich war das nicht schlimm und fast zu entschuldigen, denn Akseli war ein alter Mann und schwer versehrter Kriegsinvalide, der vollauf zu tun hatte, sich durchzubringen. Er hatte ein Bein aus Holz, das richtige hatte er 1942 in Rukajärvi in Karelien eingebüßt. Hermanni zeigte auf mehrere Abdrücke im Torf.
»Eindeutig von Akselis Holzbein.«
Ragnar erkundigte sich, ob der besagte Akseli Rotivaara vielleicht Pazifist war, da er geheime militärische Dokumente stahl.
»Keineswegs. Feldwebel.«
Sie kehrten wieder zu ihrem Ausgangspunkt, zur Brandruine, zurück. Ein wahrlich düsterer Anblick. Auch der Rabe ließ sich erneut in der Strandfichte nieder, um mit seinem Gekrächze die Stimmung zu unterstreichen.
Als das Taxi erschien, wiesen sie Chauffeur Honkanen an, auf direktem Wege über Vuotso nach Siikaselkä zu fahren. Unterwegs plauderten sie über dies und das. Ragnar fragte den Fahrer, ob er je den Schmucken Jussi chauffiert habe.
»Nee, ich nicht, dafür bin ich zu jung, aber Jussis Söhne habe ich kutschiert, oft sogar.«
Ragnar staunte: War der Schmucke Jussi, König der fliegenden Gesellen, je in seinem Leben verheiratet gewesen?
»Das nun gerade nicht. Aber Söhne hat er angeblich mehr als hundert, und Töchter noch dazu. In den Kirchenbüchern von Inari sind an die vierzig Kinder eingetragen, und wer weiß wie viele noch in anderen Gemeinden. In Inari umfasst das entsprechende Personenstandsregister mehrere Seiten, der Pastor hat für Jussi eine eigene Spalte eingerichtet und darin notiert: ›Weitere Bankerte des Schmucken Jussi, siehe Anhang‹. Das ist dann noch ein Extraheft, voll mit Namen von Jussis Kindern.«
Hermanni wusste zu berichten, dass der Schmucke Jussi einst, das war noch vor dem Krieg, die Absicht gehabt hatte, der schönen Köchin des Holzfällercamps einen Heiratsantrag zu machen. Es war August gewesen, die beiden waren Arm in Arm am Kemijoki spazieren gegangen und hatten den Mond betrachtet. Jussi hatte die entscheidenden Worte zuvor auswendig gelernt. Der Augenblick war sehr romantisch gewesen. Jussi hatte sich eine Weile geräuspert und dann angefangen: »Hab so bei mir gedacht, dass wir beide …«
»Aber genau in dem Moment setzte eine Mondfinsternis ein. Es war stockdunkel, sodass man nicht mal zum Reden genug sehen konnte. Und so wurde nichts aus der Sache.«
Ragnar meinte, falls das alles stimmte, dürfte der Schmucke Jussi mehr Nachkommen haben als Urho Kekkonen.
Der Taxifahrer wiederum fand, dass die beiden noch gar nichts gegen Matti Ahtisaari waren, der überall auf der Welt Kinder hatte. Er war einfach der Typ Mann. Sachlich im Auftreten, aber mit einer gehörigen Portion Leidenschaft.
»Er war jedenfalls immer mächtig viel unterwegs«, kam es zustimmend von der Rückbank.
Sie fuhren nach Norden, an Vuotso vorbei, dann bogen sie nach links auf die Straße nach Siikaselkä ab, die zum Oberlauf des Tankajoki führte.
»Die Söhne vom Jussi haben alle gesunde Beine, auch wenn der Vater diesen Krüppelfuß hatte. Nur beim Lügen stehen sie ihm in nichts nach«, setzte der Fahrer die Unterhaltung fort.
»Fantasie vererbt sich somit eher als deformierte Beine«, konstatierte Ragnar Lundmark.
»Ja, und so soll’s auch sein«, bekräftigte der Fahrer.
Da die Rede sowohl vom Zweiten Weltkrieg als auch vom Schmucken Jussi gewesen war, erzählte Hermanni Heiskari zur Ergänzung noch die Geschichte von einer historischen Begegnung. Nach dem Krieg traf der Schmucke Jussi bei einem Moskaubesuch im Kreml mit Stalin zusammen. Jussi war für Präsident Paasikivi eingesprungen, denn der war an einer heftigen Grippe erkrankt und hatte nicht zu den Verhandlungen nach Moskau reisen können. Da hatten sich also Jussi und Stalin über Sicherheitsfragen in Skandinavien beraten. Sie hatten sich in Rekordzeit geeinigt und anschließend über die Weltpolitik geplaudert. Gemeinsam hatten sie unter anderem den Atombombenabwurf der USA in Hiroshima und Nagasaki verurteilt, auch wenn Stalin der Meinung gewesen war, dass die Russen nur so die Kurileninseln hätten besetzen können. Die Sowjetunion hätte selbst gern die Bomben abgeworfen, und zwar direkt auf Tokio und nicht auf irgendwelche unbedeutenden Provinzstädte. Nun ja, so viel
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