Vom Himmel in Die Traufe
beendete seinen Vortrag mit der Bemerkung, dass die Kunde vom drohenden Volksaufstand ein furchtbarer Schock für die Leute wäre, vor allem, wenn erst mal die Medien das Thema aufgreifen und das Fernsehen auf allen Kanälen entsprechende Schreckensszenarien entwerfen würde. Und wenn das immer noch nicht reichen sollte, die hohen Herren zur Vernunft zu bringen, dann müsste man die Revolte lostreten. Die detaillierten Pläne lägen bereit. Die Guerilla-Armee aus der Arbeitslosenkartei würde auf ihren Kampfbefehl warten.
Ragnar Lundmark, ganz Oberst und Gentleman, erhob sich von seinem Campingstuhl und trat zu Hermanni Heiskari, um dem Unteroffizier mit Handschlag zu danken. Lena äußerte, dass sie schon lange nicht mehr solche Kriegsbegeisterung erlebt habe, dass sie als Generalstochter den beiden Vorträgen des Seminars jedoch interessiert gelauscht habe und sogar zu der Überzeugung gelangt sei, dass in dem Projekt ein gewisses Maß an gesundem Menschenverstand stecke. Sorge bereite ihr allerdings, dass man ihr, der reichen Erbin und Großkapitalistin, hier quasi das Grab schaufelte, im schlimmsten Falle sogar ein Massengrab, in dem auch sämtliche anderen Reichen in Finnland verscharrt werden würden. Im Stillen dachte sie bei diesen Worten, dass sie nicht zu vehement für das Projekt eintreten dürfte, die Männer könnten misstrauisch werden und ihre wahren Motive erahnen.
Über Hermannis Gesicht huschte ein schiefes Lächeln – Lena Lundmark hatte recht. Falls die Revolte eines Tages wirklich losbrechen würde, hätten die Reichen in der Tat nichts zu lachen. Ragnar hingegen meinte, dass die Nichte unbesorgt sein könne. Sie werde zum inneren Kreis des Volksaufstandes gehören, vorausgesetzt, dass sie ihn finanziell unterstütze.
»Zwar heißt es immer, dass die Revolution über kurz oder lang ihre Kinder frisst, doch in diesem Falle wird es kaum dazu kommen. Nicht mal Lenin hat seine Frau ins Gefangenenlager geschickt, obwohl die Krupskaja aus höheren Kreisen stammte und außerdem ein böses Mundwerk hatte, stimmt’s, Hermanni?«
Lena Lundmark erkannte, wie heikel die Situation war. Sie begann, von der radikalen Phase ihrer Jugendzeit in Maarianhamina und Turku zu erzählen. Auch sie habe sich ein Poster des Partisanenführers Che Guevara in ihre Studentenbude gehängt und eifrig Revolutionslieder gesungen. Irgendwie denke sie mit Rührung an die Maidemonstrationen zurück, auf denen die Nachkommen der Kapitalisten gemeinsam mit den Werftarbeitern Transparente der Stalinisten getragen hatten und so schrecklich enthusiastisch gewesen waren. Nun, zum Glück liege die Aufstandsidee jetzt in sachlicheren Händen.
Lena versprach ihre finanzielle Unterstützung für den Kriegsplan. In der Praxis bedeutete das, dass das Duo weiter frei umherreisen durfte, während es zugleich die Pläne vollendete. Lena hatte beiden Männern ein Jahr freien Unterhalt garantiert, und sie gedachte, ihr Versprechen nicht zu brechen. Noch etwa zehn Monate waren übrig. Aber zuallererst musste ein Laptop angeschafft werden, dazu ein Modem und ein Drucker. Mit dieser Ausrüstung ließe sich leichter am Text arbeiten, und auf Disketten wäre er auch besser aufgehoben und bliebe eher geheim als in einem wirren Stapel maschinengeschriebener Blätter.
Sie vereinbarten, dass Ragnar ein detailliertes Programm erstellen sollte, nach dem die Männer fortan leben und reisen würden. Und zugleich erklärte Lena, dass dieses Kriegsseminar auch als eine Art Verlobung anzusehen war.
Hermanni Heiskari ächzte und stotterte erschrocken:
»Nu denn, aber das kommt jetzt … ähm, na ja, bloß was soll so ein Waldmensch mit einer festen Frau anfangen.«
»Du solltest verständlich sprechen oder den Mund halten«, zischte Lena.
Jetzt machten sie sich über den vom Hotel bereitgestellten Picknickkorb her, der voller Delikatessen war. Er enthielt drei verschiedene Salatsoßen mit ebenso viel Salaten. Beigefügt war eine handgeschriebene kleine Speisekarte, auf der die Hauptzutaten für die Salate aufgezählt waren. Ragnar las vor, dass die Küche kalten, in Streifen geschnittenen nordfinnischen Lammbraten in Rosmarin-Moosbeeren-Soße empfahl (Olivenöl, darin ein klein geschnittener Rosmarinstängel, Moosbeerengelee und Weinessig). Als Nächstes entnahmen sie dem Korb Fleisch von freilaufender Tervola-Ente in Joghurt-Ingwer-Soße (bulgarischer Joghurt vom Typ Enigheten, ein Löffel schonischer Honig, eingelegter, gehackter Ingwer,
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