Vom Himmel in Die Traufe
Androhung eines Krieges und in letzter Konsequenz durch einen Bürgerkrieg zum Begleichen der Rechnung gezwungen werden.
»Genau wie ein durch Schläge irregemachter Hund, der in seiner Not seinem Herrn in die Hand beißt, so werden auch die ins Elend der Arbeitslosigkeit gestürzten armen Leute ihre Menschenrechte einfordern«, verkündete Hermanni Heiskari mit gehörigem Pathos in der Stimme, ganz wie es sich für den Wegbereiter eines Aufstands gehörte. Er warf einen großen Holzkloben ins Feuer, dass die Funken nach allen Seiten sprühten.
Der Vortrag war eindrucksvoll, und Lena Lundmark gewann die Überzeugung, dass sie sich unbedingt mit einklinken sollte, um sich ihren Teil der künftigen Optionen zu sichern. Sie erkannte, dass sich ihr im Leben keine zweite so außerordentliche Chance bieten würde, gigantische Geschäfte zu machen. Im Hinblick auf den ungeheuren Bedarf einer Kriegswirtschaft geisterte ihr bereits die Erweiterung der Speditionsfirma durch den Kopf. Auch die Kapazität der Schiffe müsste großzügig erhöht werden, damit sie den Bedürfnissen des Seetransports zu Kriegszeiten entsprach. Lena beschloss, diese Überlegungen mit keinem Wort anzudeuten, jedenfalls vorläufig nicht. Sie wollte nicht, dass die Männer Bescheid wussten, zumal keiner der beiden etwas von Geschäften verstand. Wichtig war, dass ihre Begeisterung anhielt und dass ihr, Lena, die märchenhafte Gelegenheit, Geld zu machen, nicht entging.
Hermanni Heiskari betonte, dass er nicht sicher war, ob sein Kriegsprojekt je in die Tat umgesetzt würde – er war kein Revolutionsromantiker. Aber der vorläufige Plan war erstellt, und das hatte zwei Jahre gedauert. Nun musste noch der Feinschliff vorgenommen werden, und falls auf Lenas Versprechungen von einem bezahlten Lebensrettungsurlaub Verlass war, hatten er und Ragnar jetzt Zeit, sich dieser Aufgabe zu widmen. Wenn der endgültige Aufstandsplan bis ins letzte Detail fertig wäre, könnte man die Information über seine Existenz gezielt in der Öffentlichkeit lancieren, sodass das ganze Volk über das Vorhaben Bescheid wüsste. Mal sehen, ob dann nicht all die Herren endlich erwachen, das ungeheure Arbeitslosenproblem in seinem Ausmaß erkennen und aus Angst um ihr Leben etwas dagegen unternehmen würden.
Über die Ressourcen des Gegners wusste Hermanni gut Bescheid. Den Landstreitkräften der finnischen Armee standen, wenn man die Reserve mitzählte, 460 000 Mann zur Verfügung. Es gab zwei operative Panzerbrigaden, in beiden 5700 Mann, zehn Jägerbrigaden mit einer Stärke von 5300 Mann, ferner vierzehn Infanteriebrigaden mit Reservisten (6600) sowie eine Küstenbrigade. Die Marine verfügte in Kriegszeiten über 12 000 Mann (zwei Flotten), die Luftwaffe über 30 000 Mann, hinzu kam der Grenzschutz mit 24 000 Jägern. Die Ausrüstung der Panzerbrigaden war stattlich: Beide verfügten über 65 Kampfpanzer, 60 Sturmpanzer und 100 Transportpanzer sowie 25 Haubitzen. Die Jägerbrigaden wiederum besaßen laut Hermannis Informationen 200 bis 250 Transportpanzer oder Halbkettenfahrzeuge.
Die Infanteriebrigaden verfügten über zwei Kanonenbatterien, insgesamt 36 Feldbatterien und ebenso viele schwere Granatwerfer, 18 Flugabwehrkanonen, 150 Flugabwehrmaschinengewehre und etwa 3500 Panzerabwehrwaffen, Bazookas und Raketen. An Fahrzeugen besaß jede Brigade fast 1000 Stück.
Diese Armee war allerdings aufgestellt und ausgebildet worden, um den Angriff einer fremden Macht abzuwehren, und nicht, um Guerilla-Aktivitäten im eigenen Land zu ersticken. Bei der finnischen Militärausbildung war man in den letzten Jahren von der traditionellen Methode abgekommen, die Vorteile des waldigen Geländes auszunutzen – die Generäle wollten »aus dem Wald heraustreten«. Die finnische Armee war stark, aber ihre schwere Ausrüstung würde sie daran hindern, ihre ganze Stärke im Ödwald auszuspielen.
»Man muss außerdem bedenken, dass es in der Armee ebenfalls Arbeitslose gibt. Vor allem das Stammpersonal, Offiziere und Unteroffiziere, haben die von der Krise verursachten schweren finanziellen Einschnitte zu spüren bekommen. Und ein großer Teil der Reservisten sind Langzeitarbeitslose, also potenzielle Guerillakämpfer. Die aufrührerischen Aktivitäten können somit leicht zu einer Aushöhlung der Streitkräfte führen.« So konnte man trotz der gewaltigen militärischen Übermacht nicht von vorn- herein sicher sein, wie ein Guerillakrieg schließlich ausgehen würde.
Hermanni
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