Vom Himmel in Die Traufe
näher, um sich von Hand füttern zu lassen. Aber wenn der Unglückshäher erschrocken fortflog, war das ein böses Omen. Dann starb der betreffende Holzfäller im Allgemeinen und wurde, wie wir bereits wissen, zu einem Rentier.
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Ragnar Lundmark organisierte zusammen mit Wildmarkführer Santeri Näljänkäläinen noch für denselben Abend ein großes blaues Hauszelt, das im Inneren ein aus weißer Gaze genähtes Mückenzelt für zwei Personen beherbergte. Als Schlafunterlage dienten zwei weiche Luftmatratzen, dazu gab es Daunenkissen und saubere Laken. Eine Kühltasche mit Snacks und Getränken wurde im Vorzelt untergebracht, ein Campingtisch und Stühle vervollständigten die Einrichtung des Verlobungsnestes. Das Mückenzelt bot freien Ausblick auf den Junttijoki, dahinter waren die Teno-Fjälls auf norwegischer Seite zu sehen, deren höchste Erhebung mit mehr als tausend Metern der Rastigaissa war.
Santeri konnte sich nicht verkneifen zu erzählen, dass zuletzt in ebendiesem Zelt ein Bischof aus Minnesota zusammen mit seinem Sekretär übernachtet hatte. Die beiden hatten vom Zelt aus Forellen geangelt. Der Reißverschluss an der Öffnung war danach erneuert worden. Damals hatte das Zelt am Vaskojoki gestanden, in der Nähe des Kinderheimes von Riutula, dessen Schirmherr der Bischof war. Der Schwarzrock war ein ehemaliger Pastor der US -amerikanischen Luftwaffe, der in den Siebzigerjahren vorübergehend Seelsorger eines Stützpunktes in Deutschland gewesen war und die Soldaten begleitet hatte, wenn sie in einer Transportmaschine Weihnachtsgeschenke nach Riutula gebracht hatten. Mehrere Tonnen Mickymäuse und Teddybären, um Lapplands Kinder zu beglücken, jedes Jahr.
Das Paar lag in schönstem Einvernehmen in den Daunenkissen. Die beiden blieben lange wach und lauschten dem Rieseln des Junttijoki jenseits der Böschung. Die Sonne versteckte sich hinter dem Rastigaissa, und die Sommernacht füllte sich mit nebliger Dämmerung. Hermanni Heiskari gestand sich ein, dass diese Verlobung mit einer faktisch wildfremden Witwe einfach so passiert und dass er sich überhaupt nicht sicher war, wohin das alles führen würde, eine Situation, wie sie die fliegenden Gesellen oft erlebten.
Lena Lundmark spürte die Unruhe des Mannes, die ihr irgendwie gefiel. Sie erzählte von ihrer Kindheit in Åland, ihrem Elternhaus in Lumparland. Es war ein großes Haus, eigentlich schon mehr ein Herrenhaus gewesen. Lenas Vorfahren waren Seeleute und Fischer gewesen. Im vergangenen Jahrhundert hatten sie eine Segelflotte mitbegründet, und daraus stammte Lenas Vermögen. Aber ihr Vater war kein Seemann, sondern eigentlich Abenteurer, Kaufmann und Soldat gewesen. Nur die sparsame Haushaltsführung der Mutter hatte die Familie vor dem Konkurs bewahrt. In seiner militärischen Laufbahn war der Vater bis zum Generalmajor aufgestiegen. Während des Krieges hatte er als Major in der finnischen Armee gedient und an der Front von Hanko gekämpft. Er war Experte für Ballistik gewesen. Als Bürger von Åland hätte er nicht die militärische Laufbahn wählen können, denn die Insel war durch internationale Verträge demilitarisiert, und so hatte die Familie jahrelang in Tammisaari gewohnt. Zu Hause war es mehrsprachig zugegangen, die Mutter hatte Schwedisch gesprochen, der Vater hauptsächlich Finnisch und Französisch. Er war ein rechter Filou gewesen, mit einem übermäßigen Interesse an Frauen. Später war er Militärattaché in Paris geworden und dort an einem Gallenanfall gestorben, als Lena noch klein war.
Das alte Haus der Lundmarks in Lumparland war noch erhalten, heute beherbergte es eine Kunstgewerbeschule und ein kleines Café. Lena erinnerte sich noch gut an die grasbewachsenen Wege und die Bootshäuser und Stege mit Blick auf den offenen Lumparsund. Zu Mittsommer hatte man unter einem gewaltig hohen, geschmückten Maibaum Reden gehalten, gesungen und gespielt. Das Büro der lundmarkschen Reederei und auch der Spedition befand sich heute in Maarianhamina, aber Lena besaß auch in Helsinki eine Wohnung und Geschäftsräume.
Kurz vor Mitternacht rief Ragnar vom Hotel aus per Handy im Zelt an, erkundigte sich nach dem Ergehen der beiden und wünschte eine gute Nacht.
»Flötet der Häher mit dem grünen Arsch immer noch dort herum?«, fragte er mit etwas schwerer Zunge. Aus der für ihn ungewöhnlich groben Ausdrucksweise zu schließen, hockte er an der Bar und fühlte sich einsam.
Der Barmann schnappte die an sich unbedeutende
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