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Vom Himmel in Die Traufe

Titel: Vom Himmel in Die Traufe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Frage auf und wollte sofort Näheres wissen. Der Vogel war nämlich äußerst selten.
    Am Junttijoki setzten die Brautleute ihre Unterhaltung über Lenas Kindheit fort. Irgendwo draußen am Teno schrie ein Wasservogel mit melancholischer Stimme, vielleicht ein Zwergsäger. Vom Fluss stieg blaugrauer Nebel auf. Lena kuschelte sich dicht an Hermanni und flüsterte, dass sie als Kind manchmal auf dem Dachboden des Bootsschuppens übernachten durfte. Ohne Nanny, man stelle sich vor! Jetzt war die Stimmung ganz ähnlich. Lena wusste heute noch, wie ihr am Morgen die Zehen gefroren hatten, wenn sie, das schlaftrunkene kleine Mädchen, ins große Haus hinaufgetrabt war, um am Frühstück im Speisesaal teilzunehmen. Sonntags hatte es dort immer ein »Branntweinbüfett« gegeben, mit vielen verschiedenen kalten Fischgerichten, mit Aufschnitt, Kaffee und Tee und Schnaps für die Erwachsenen.
    Hermanni lauschte gern ihrem Bericht, äußerte von Zeit zu Zeit ein interessiertes »Hm«. Ihm entschlüpfte die Bemerkung, dass Åland anscheinend ein ebenso abgelegener Erdenwinkel wie Lappland war. Lena hob die Stimme und erteilte ihm eine Lektion in politischer Geografie. Åland war im Grunde genommen der Nabel des Nordens, besiedelt schon seit prähistorischen Zeiten. Während der Zeit, da Schweden eine Großmacht gewesen war, war es das Zentrum der Ostseeregion gewesen, umringt von Schweden, Finnland, dem Baltikum und Deutschland. Nun ja, später dann, als die Inselgruppe in den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts auf Beschluss des Völkerbundes an Finnland angeschlossen worden war, hatte sie ein Dasein am Rande des neuen Mutterlandes gefristet.
    Hermanni konnte sich den Hinweis nicht verkneifen, dass Lappland erst recht eine bedeutende Lage hatte. Im Süden grenzte es an Groß-Finnland, im Westen an den Atlantik, im Osten an das riesige Russland und im Norden ans Eismeer und den Nordpol.
    Lena gab zu, dass Lappland im Sommer zauberhaft war, aber die winterliche Dunkelheit bedrückte vermutlich die Leute. Hermanni wusste jedoch zu entgegnen, dass man den Winter im Schein des Polarlichtes verbrachte.
    »Als Taschenlampe benutzen wir den Polarstern.«
    Bevor sie einschlief, müde nach dem Tag an der frischen Luft, stellte sich Lena vor, wie es wohl für sie wäre, wenn es Hermanni tatsächlich gelänge, einen Krieg zu entfachen. Die Möglichkeit war durchaus gegeben, verrückt genug waren die Leute hier oben im Norden. Und wenn er den Krieg gewinnen würde, dann … Lena malte sich aus, dass sie die Geliebte eines Guerillachefs und später die Ehefrau des Mannes wäre, der für die Bildung der Übergangsregierung zuständig sein würde. Sie könnte während der internationalen Friedensverhandlungen, warum nicht auch generell, Dolmetscher- und Diplomatenaufgaben übernehmen. Sie würde sich an die Spitze einer Stiftung zugunsten von Kriegswaisen und -witwen stellen und in der Welt herumreisen, um vom heldenhaften Kampf des tapferen Volkes zu berichten und so finanzielle Mittel und diplomatische Anerkennung für den neuen Staat der kleinen Leute zu sammeln. Lena schlief mit dem Gedanken ein, dass sie unter diesen Umständen womöglich zur mächtigsten Reederin Europas würde, zu einer Frau, die mehr Einfluss hatte, als sie zu nutzen imstande sein würde. Lena liebte ihre kindlichen Träume, und sie zögerte sie hinaus, bis sie glücklich einschlief.
    Am Morgen erwachte Lena frisch und munter. Hermanni schlief neben ihr noch seinen tiefen Holzfällerschlaf, sein Brustkorb hob und senkte sich in einer Art, die Sicherheit ausstrahlte. Lena bemerkte, dass sie nackt war, wie praktisch. Sie ging nach draußen ans Flussufer und glitt langsam in das kühle Wasser, um sich zu waschen. Zunächst jedoch stand sie bis zum Hals im Fluss, die Zehen im Grund vergraben, und betrachtete die Sonne, die im Osten aufgegangen war.
    Am Ufer des Junttijoki lauerten Scharen seltsamer Männer, die sich ganz still verhielten. Sie hatten auf der Böschung Stative aufgestellt, um Feldstecher und Kameras darauf zu befestigen. Die Teleobjektive starrten mit unverschämten Glotzaugen auf die nackte Frau im Fluss. Lena Lundmark hatte üppige Brüste, einen schmucken Nabel und eine bildhübsche Bauchrundung, alles was recht war. Aber wenn man ganz genau hinsah, stellte man fest, dass die Kameras und Feldstecher an der weiblichen Schönheit vorbei und auf die Büsche am gegenüberliegenden Flussufer gerichtet waren, wo das zarte Flöten eines Hähers zu

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