Vom Himmel in Die Traufe
Stöcken kleine Steine oder Zapfen durch die Luft geschleudert, und wem es gelang, seine »Bälle« in eine gemeinsam vereinbarte Kuhle zu schlagen, hatte die Runde gewonnen. Hirten haben bei ihrer Arbeit Zeit im Überfluss, und so entwickelten sie das Spiel rasch weiter, sie benutzten mehrere Löcher, ließen die Hirtenstäbe beiseite und schnitzten sich kürzere und wirksamere Schläger. Seither hat sich die Idee des Golfs über die ganze zivilisierte Welt verbreitet. Heutzutage sind die Hirten arbeitslos, und das Spiel, das sie erfunden haben, spielen die Herren.
Der Pro Jari erklärte Hermanni die Anfangsgründe, sprach von den Schlägern und den Regeln des Spiels. Als der Holzfäller mit seiner ganzen Kraft den kleinen Ball hinter den Horizont zu schlagen versuchte, ohne nennenswertes Ergebnis, zeigte ihm der Trainer ganz geduldig, wie man die richtige Position einnahm und wie der richtige Griff oder Grip aussah, danach lehrte er ihn auch alle anderen Grundlagen. Ragnar, dessen Handicap 22 war, bekam schon am zweiten Tag Zweifel, ob Hermanni jemals wenigstens passabel spielen würde, aber als der fliegende Geselle schließlich begriff, um was es ging, nahmen die Bälle Fahrt auf. Am dritten Tag führte Jari seinen Schüler endlich von der Driving Range hinaus auf die Bahn und ließ ihn das eigentliche Spiel ausprobieren. Hermanni, der sich seiner eigenen Meinung nach die Schlagtechnik schon ganz gut angeeignet hatte, spielte das Par Drei mit dem Eisen Sieben direkt ins Green. Mit einem Putt war der Ball im Loch. Ragnar brauchte sechs Schläge, bevor er den Ball dort hatte.
Am Abend hatte Hermanni seinen Platzreifeausweis mit einem eingetragenen Handicap von 35. Kein schlechtes Ergebnis für den Abschluss des Anfängerkurses, bestätigte auch Ragnar.
Es war ein zeitaufwendiges Spiel, fand Hermanni. Er ärgerte sich, dass er Golf nicht früher für sich entdeckt hatte. Im Leben der Holzfäller gab es manchmal lange Leerzeiten, in denen sie die Langeweile plagte und sie nichts zu tun hatten. Hermanni konnte sich gut vorstellen, dass sich die Männer nach Ende der Flößperiode und vor Beginn des winterlichen Waldeinschlags die Zeit damit hätten vertreiben können, trockene, reife Kiefernzapfen oder runde, im Wasser abgeschliffene Steine von einem Maulwurfsloch ins andere zu schlagen. Mit der Methode, Tannenzapfen durch die Gegend zu schleudern, hatten ja die schottischen Hirten seinerzeit das Spiel begonnen.
Bei diesen Überlegungen fiel ihm ein, dass die finnischen Soldaten, die während des Krieges desertiert waren und sich in den Wäldern versteckt hatten, die sogenannten Tannenzapfengardisten, mehr Spaß gehabt hätten, wenn sie zwischendurch Tannenzapfengolf gespielt hätten. Daraus wiederum entwickelte sich der Gedanke, dass sie beide, Ragnar und er als die Initiatoren der Arbeitslosenrevolte, sich eigentlich darum kümmern müssten, wie und wo die Aufständischen untergebracht werden konnten, falls auch sie sich verstecken mussten. Klar war, dass im Falle einer Niederschlagung des Aufstands Tausende Arbeitslose in die Wälder gejagt würden wie Hunde, sofern sie sich nicht dem Kriegsgericht stellten.
Es war bereits August, als Ragnar Lundmark in der Informationsabteilung des Generalstabs anrief und sich erkundigte, wo sich das Denkmal der finnischen Tannenzapfengardisten befand und ob es überhaupt ein solches gab.
Im Generalstab reagierte man kühl auf die Anfrage, aber als Ragnar in seiner korrekten Art erklärte, dass er Oberst a. D. sei, zeigte man mehr Entgegenkommen. Gegen Abend bekam er ein Fax mit der verschwommenen Mitteilung, dass sich irgendwo in Nordfinnland, vermutlich in Kolari, die vom Herrn Oberst angesprochene Gedenkstätte der Deserteure befand.
Ragnar nahm Kontakt zur Gemeinde Kolari auf, und dort gab man ihm den Bescheid, dass am östlichen Rand der Ortschaft, am Venejärvi-See, ein paar Unterstände, die sich die Gardisten in die Erde gegraben hatten, bewahrt worden seien.
Die beiden Gefährten ließen den größten Teil ihres Gepäcks zur Aufbewahrung im Hotel zurück und fuhren mit leichter Ausrüstung abermals in den Norden. Sie beabsichtigten, in der Gegend um Kolari ein paar Ausflüge zu machen, den Venejärvi-See und andere Orte zu besuchen. Außerdem würde sich Hermanni bei der Gelegenheit seinen Pass abholen.
Sie reisten im Schlafwagen erster Klasse. Es war eine angenehme Nacht. Hermanni las in seinem Abteil die Biografie von Aladar Paasonen, geschrieben von dessen
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