Vom Himmel in Die Traufe
umherreisten, mussten einen hohen Preis für ihr Vergnügen bezahlen, vielleicht nicht in Form der Flugtickets, aber doch zumindest in Form von körperlichen Belastungen.
Das Hotel hatte einen so hohen Standard, dass Hermanni seinen Anruf bei Lena in Åland direkt vom Badezimmer aus tätigen konnte, denn dort befanden sich sowohl ein Telefon als auch ein parallelgeschaltetes Fax. Auf dem Klo sitzend erzählte er ihr, dass die Reise gut verlaufen und dass zwischen ihm und Ragnar wieder alles in Ordnung sei. Er hätte noch gern ein paar Worte über Sehnsucht und Liebe hinzugefügt, aber heraus kam eine Bemerkung über das Wetter:
»Hier sagen sie, dass der Sommer kommt. Es bläst ein ziemlich frischer Wind.«
Auch wollte er bekennen, dass er schwer verliebt war, aber stattdessen äußerte er sich über den tropischen Sturm:
»Die Wolkenkratzer schwanken wie das Schilf am Ufer des Inarisees, und die Windgeschwindigkeit beträgt tausend Kilometer pro Stunde.«
25
Ragnar Lundmark fing an, für Hermanni ein Programm in Auckland zu organisieren, denn wegen des Unwetters waren zahlreiche Flüge gestrichen worden, und die Anschlussverbindungen zu den Cookinseln im Stillen Ozean waren unterbrochen. Dort hatte der Sturm dem Vernehmen nach noch größere Schäden angerichtet als in Neuseeland.
Ragnar schlug vor, dass sie sich der Wirtschaftspolitik des Landes widmen sollten, die es ermöglicht hatte, die Arbeitslosigkeit mehr als zu halbieren. Wenn man sich in Finnland derselben Methoden bediente, brauchte man den Volksaufstand vielleicht gar nicht. Nach Absolvierung dieser ökonomischen Studien könnten sie es dann lockerer angehen lassen und sich zum Beispiel mit der Schafzucht vertraut machen. Hermanni war mit dieser Regelung sehr einverstanden.
Allerdings zeigte sich, dass das Arbeitsamt des Landes nicht gerade erpicht darauf war, sie zu empfangen. Finnische Gäste hatten sich nämlich im ganzen letzten Jahr die Klinke in die Hand gegeben, sodass man die Bewohner der nördlichen Hemisphäre mittlerweile einfach satthatte. Auch momentan hatten die hiesigen Behörden mehrere Abordnungen finnischer Kommunalpolitiker und Regionalverbände am Hals, die alle dasselbe wissen wollten: Was konnte man vom neuseeländischen Modell lernen, und ließ es sich auf die finnischen Verhältnisse anwenden? Zeitgleich mit Hermanni und Ragnar waren eine Gruppe von Biomilchbauern aus Kiuruvesi, eine Abordnung des Regionalverbandes von Mittelostbottnien, drei Funktionäre des gewerkschaftlichen Zentralverbandes SAK aus Kainuu sowie die Bürgermeister und Gemeinderatsvorsitzenden von Pornainen, Jokioinen, Ranua und Keikyä zu Studienzwecken im Land unterwegs. Eine Abordnung der Stadt Hämeenlinna hielt sich schon zwei Wochen hier auf. Man schickte Ragnar ein fünfzig Seiten starkes Kompendium mit Informationen über die neuseeländische Arbeitsmarktpolitik ins Hotel, außerdem erhielt er Namen und Adressen mehrerer Finnen, die sich in Neuseeland niedergelassen hatten.
Aus dem Kompendium ging hervor, dass die Neuseeländer die Arbeitslosigkeit bekämpft hatten, indem sie die Sozialleistungen drastisch kürzten. Die Steuern waren gesenkt und der Export gefördert worden. In der Praxis hatte man die armen Leute in immer größere Bedrängnis gebracht, man hatte die Löhne gesenkt und jene Menschen, die der Arbeitsmarkt freigesetzt hatte, ins absolute Elend gestürzt oder gezwungen, sich irgendwie durchzuschlagen. Hermanni und Ragnar stellten fest, dass sich Europas kranke Jungfrau Finnland mit dieser Arznei nicht vom Leiden der Arbeitslosigkeit heilen ließe. Ein Programm dieser Art würde den Willen zum Aufstand nicht brechen, im Gegenteil, die Verbitterung der Leute würde wachsen.
Wie auch immer, Ragnar suchte Pekka Heikkinen auf, einen Finnen von gut vierzig Jahren, der vor einem Jahr nach Neuseeland gezogen war. Er war ein ehemaliger Unternehmer aus Vantaa, hatte einen Lastwagen gefahren und war jetzt für die Gabelstapler einer Speditionsfirma im Hafen von Auckland verantwortlich. Seine Frau Liisa hatte in Vantaa als Sozialbeamtin gearbeitet, war aber wegen eines Burn-outs ihrem Mann in das neue Land gefolgt, in dem man Arbeit fand, ohne dass man auf Knien darum bitten musste. Liisa war vorläufig zu Hause und betreute den jüngsten Familiennachwuchs, eine kleine Tochter, die in der neuen Heimat geboren worden war. Sie beabsichtigte, in ein, zwei Jahren wieder arbeiten zu gehen, wenn sie nur erst besser Englisch gelernt hätte. Die
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